„Und ich dachte, Arnold lädt uns ein“ – Wolfgang Petersen

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„Und ich dachte, Arnold lädt uns ein“ – Wolfgang Petersen

Schwarzenegger ein Geizkragen? Tom Cruise am Ende? Dustin Hoffman eine Diva? Der Regisseur Wolfgang Petersen über Hollywood, seine Stars und ihre Macken.

Herr Petersen, wir möchten mit Ihnen über den Mythos Hollywood reden.

Ein Mythos, ganz richtig. Ich bin vor zwanzig Jahren ja so richtig in das Hollywood der falschen Versprechen und Vorstellungen reingeschlittert.

Wie das?

Es ging gleich am ersten Tag los. Arnold Schwarzenegger hatte mir ein Haus in Santa Monica angeboten, was ich unheimlich nett von ihm fand. Meine Frau und ich fahren also da hin, und eine Agentin macht die Tür auf. Ein schönes Haus im spanischen Stil, keine Frage. Nur: Es war komplett leer. Keine Möbel, nicht mal ein Stuhl. Die Agentin sagte: Sie müssen Möbel leihen, das macht doch hier jeder.

Wir blieben die erste Nacht im Hotel.

Haben Sie sich Möbel gemietet?

Ja klar, obwohl ich das völlig verrückt fand. Die nächste Überraschung war ein Brief von Arnold, in dem stand, dass die monatliche Miete 6000 Dollar betrage und die Heizung für den Pool 800 Dollar. Ich hatte gedacht, der Arnold lädt uns ein.

Sie werden in L.A. auch ein Auto gebraucht haben.

Arnold bot mir einen Wagen an – es war das Auto des Hausmädchens. Irgendein japanisches Modell, sehr bescheiden. Mit der Kiste fuhr ich die erste Zeit durch Los Angeles.

Und dann wurde Ihr erster Film abgesagt.

Es war zum Ausrasten. Ich kam nach dem internationalen Erfolg von „Das Boot“ sehr verwöhnt in Amerika an. Man wollte mich dort unbedingt haben, das ließ man mich spüren. Und schließlich gab es ein konkretes Projekt: Ich sollte bei einem Film mit Kathleen Turner Regie führen, „Alicia’s Book“. Turner war damals noch sehr angesagt. Aber dann wurde sie schwanger, und das Projekt platzte. Es hat fast drei Jahre gedauert, bis ich tatsächlich drehen konnte. Eine harte Zeit.

Was macht man da? Klinkenputzen?

Nein, ich bekam ja dauernd Anrufe. Der Ruhm vom „Boot“ hielt lange vor, eigentlich bis heute. Das ist das Schöne: Wenn Hollywood sich mal in einen Film verliebt, dann für immer. Es gab also Projekte, an denen ich gearbeitet habe. Ich bekam Entwicklungsgelder – es entstand nur nie ein Film aus diesen Ideen. Ich musste lernen, dass in Hollywood nichts von heute auf morgen geht.

Ihren ersten Agenten mussten Sie auch wechseln.

Er war einfach zu schwach. Man braucht einen starken Agenten und einen Anwalt mit Standing in Hollywood. Es ist dort essenziell, wem man zuhört und wem nicht.

Was raten Sie Oscar-Gewinner Florian Henckel von Donnersmarck, der gerade den Sprung nach Hollywood wagt?

Der Florian wird es schwer haben. Aber ich mag ihn. Er hat mich besucht, wir sind essen gegangen. Aber gleich für den ersten Film, „Das Leben der Anderen“, den Oscar zu kriegen, das ist eine Bürde. Und dann ist er erst 34 Jahre alt. Er hat jetzt den Ruf des jungen Genies. Es sind auch schon alle hinter ihm her. Die große Frage ist, ob er jetzt weiter seine eigenen Filme dreht oder fremde Drehbücher adaptiert. Ich muss ihn mal fragen, wenn ich wieder in Hollywood bin.

Fast kein Regisseur in Hollywood verfilmt noch seine eigenen Drehbücher.

Nur einige wenige machen das noch, Paul Thomas Anderson etwa oder die Coen-Brüder, die gerade bei den Oscars abgeräumt haben.

Die gelten als Außenseiter.

Seien wir mal ehrlich: Großen Erfolg an der Kasse werden die mit ihren Filmen nicht haben. Das wollen sie vielleicht auch gar nicht. Im Mainstream-Kino, aus dem ich komme, lassen die großen Studios die Kassenknüller lieber von Profiautoren schreiben.

Wie groß die Abhängigkeit von denen ist, hat der Drehbuchautorenstreik gerade gezeigt. Filmprojekte wurden verschoben oder auf Eis gelegt.

Das war schlimm. Drei Monate standen die Räder still.

Auf wessen Seite waren Sie?

Ich war natürlich solidarisch mit den Autoren. Aber am Ende hat es genervt. Ich habe wochenlang in der Luft gehangen. Da habe ich dann einfach alle meine Freunde aus Deutschland eingeladen, und wir haben gekocht wie die Wahnsinnigen.

Was gab es?

Gute deutsche Küche. Eigentlich kann man kein richtiges Eisbein in Hollywood machen, aber es gibt diesen Versand für deutsches Essen in Texas: German Deli. Die haben alles: von der Gelbwurst bis zur Schweinshaxe. Außerdem hatte ich auch mal wieder Zeit, Drehbücher zu lesen.

Wie viele Drehbücher bekommen Sie pro Woche zugeschickt?

Unendlich viele. Jetzt, nach dem Streik, sind es noch mehr, weil viele Autoren heimlich an ihren Büchern weitergearbeitet haben. Aber ich lese natürlich nicht alles selbst. Ich lasse vier Angestellte für mich lesen. Die sagen dann: Das war Scheiße, das war Scheiße, das war Mist und dieses hier riecht nach Wolfgang.

Was riecht nach Wolfgang?

Nicht nach Wolfgang riechen amerikanische Komödien. Auch Horror- und Teenagerfilme interessieren mich nicht. Mich fesselt das große Drama, so eine Geschichte wie „Troja“. Es muss ein Film für Stars sein. Die Kunst besteht darin, das Einzigartige von Filmen wie „No Country for Old Men“ mit dem Hollywood-Kino zu verbinden. Ich will die Kunst in den Blockbuster schmuggeln. Die großen Kassenerfolge des letzten Jahres, „Fluch der Karibik 3“ oder „Spiderman 3“, fand ich fürchterlich, fast unerträglich.

Stimmt es, dass in Hollywood eine Liste mit Schauspielern kursiert, von denen man mindestens einen engagieren muss, weil sonst ein Film keine Chance auf Finanzierung hat?

Sie meinen die A-Liste. Darauf stehen die größten Stars, rund 20 Schauspieler. Das einzige Kriterium, um auf diese Liste zu kommen, sind gute Einspielergebnisse. Es ist völlig gleichgültig, ob die Kritiker oder die Regisseure einen Schauspieler gut finden.

Diese Liste ist inoffiziell.

In Hollywood gibt es nichts Inoffizielles. Ich weiß zum Beispiel gar nicht, ob Tom Cruise noch auf der A-Liste steht.

Warum sollte er nicht mehr darauf sein?

Weil sein letzter Film mit Robert Redford und Meryl Streep total gefloppt ist. Und die Bilder vom Stauffenberg-Film, die in Hollywood herumgingen, haben Unbehagen ausgelöst. Tom Cruise in Wehrmachtsuniform und mit Augenklappe, das fanden die Leute hier komisch. Ich weiß nicht, ob man ihn so sehen will. Der Stauffenberg-Film wird in Hollywood mit einer gewissen Häme erwartet. Tom Cruise hat es schwer im Moment.

Und wer steht ganz oben auf der A-Liste?

Will Smith. Obwohl er ein Schwarzer ist, schlagen seine Filme alle ein. Er lässt die Leute seine Hautfarbe vergessen. Er spielt einfach tolle Typen.

Haben Sie Smiths Nummer?

Ha, das wäre schön. Ich würde ihn gerne mal sprechen, um mit ihm einen Film zu machen.

Wie würde das ablaufen?

Ach, da gibt es eine Fülle von Agenten, Anwälten und Produktionsfirmen, die erst mal kontaktiert werden wollen. Aber wenn ich einmal mit einem Star gedreht habe, bin ich eng mit ihm verbunden. Ich könnte Brad Pitt jetzt auf dem Handy anrufen.

Und ihn zu Kaffee und Kuchen einladen?

Ich tue es natürlich nicht, um mit ihm mal über meinen Lieblingsfußballklub, den HSV, zu plaudern. Da geht es um berufliche Dinge.

Gut, für einen richtigen Hollywood-Film braucht man Schauspieler von der A-Liste. Schwul dürften sie aber nicht sein.

Das ist ein heikles Thema. Amerika ist prüde. Es gibt diese Doppelmoral: Auf der einen Seite werden in Los Angeles Unmengen von Hardcore-Pornos produziert, das ist eine gigantische Industrie. Auf der anderen Seite gibt es Riesenkrach, wenn im Fernsehen mal ein Nippel zu sehen ist. Und Schwulenhass ist das große Thema der religiösen Rechten. Deswegen müssen die Schauspieler, die schwul sind, unheimlich aufpassen.

Vielleicht kann Will Smith unter Ihrer Regie einen Schwulen spielen.

Ich glaube, er würde im jetzigen Stadium seiner Karriere eine solche Rolle nicht annehmen. Er würde sein Publikum irritieren.

Denken Sie beim Filmemachen an das Publikum? Muss ein Schwarzer mitspielen, eine Latina, eine junge Schauspielerin, ein alter Schauspieler?

Die Studios wollen ihr Geld wiederbekommen. Deshalb versucht man, eine größtmögliche Zahl von Menschen anzusprechen. Haben Sie schon mal von den vier Quadranten gehört?

Die vier Quadranten?

Damit sind junge Männer, junge Frauen, ältere Männer und ältere Frauen gemeint – wobei „älter“ schon mit 38 aufhört. Alles darüber wird nicht mehr gezählt. Für die Mädchen muss man also eine Romanze in den Film integrieren, für die Jungs Action und Bang-Bang. Dann sollte man noch den einen oder anderen Jungstar engagieren. Für die älteren Männer kommt eine schöne Frau und ein selbstbewusster Schauspieler rein, mit dem sie sich identifizieren können, und für die älteren Damen ein Mann, der sie träumen lässt.

Deshalb zeigen Sie Brad Pitt in „Troja“ fast nackt?

Jetzt muss ich mal ehrlich sein. Wenn man die Rolle des Achilles, eines Mannes mit großer sexueller Ausstrahlung, nach dem schon in der Antike alle Frauen verrückt waren, also wenn man diese Rolle mit Brad Pitt besetzt, dann hat man natürlich im Hinterkopf, den Mann mal nackt zu zeigen.

Hatte er Probleme damit?

Im Gegenteil. Brad hat den Achilles gut verstanden. Er schlug selbst eine Nacktszene vor: Was hältst du davon, wenn ich von der Schlacht ins Zelt zurückkomme und mich splitternackt ausziehe, um mich zu waschen. Ich sage: Wow, würdest du das wirklich tun? Und er: Klar, wenn ihr das dreht, ohne meine Genitalien zu zeigen. Man muss wissen, dass zur gleichen Zeit die Schauspielerin Rose Byrne als hübsche Gefangene in Brads Zelt angebunden ist. Das war richtig provokativ von Brad.

Die beiden schlafen dann miteinander. Wie schafft man eine Stimmung für erotische Szenen?

Alle müssen raus aus dem Studio, alle raus. Nur der Kameramann, sein Assistent, der Tonangler und ich sind dabei.

Gibt es Stars, die Probleme mit Nacktszenen haben?

Clint Eastwood hat regelrecht Angst davor. Ich habe mit ihm „In the Line of Fire“ gedreht, in dem es eine Bettszene gibt. Clint spielt darin den Bodyguard des US-Präsidenten. Er hat ständig gefragt, wann die Szene gedreht würde. Ich spürte seine Hemmungen. Also habe ich entschieden, dass man das mit Humor machen muss. Man sieht dann nur, wie Clints Secret-Service-Utensilien zu Boden fallen: Funkgeräte, Pistolen, Munition. Hinterher sagte er: „Jetzt muss ich den ganzen Scheiß wieder anziehen.“ Es gibt aber auch Schauspieler, die die Hüllen fallen lassen wollen, sobald sie auf dem Set ankommen. Namen werde ich natürlich nicht verraten.

Was passiert, wenn ein Schauspieler wirklich mal erregt wird?

Das sind so Geheimnisse, das weiß ich auch nicht so genau. Ich sehe es ja, und ich sehe es auch nicht. Ich glaube, durch die professionelle Atmosphäre wird so etwas unterbunden. Diese Stars können so gut wie alles spielen.

Von Dustin Hoffman hört man Gegenteiliges.

Der ist sehr neurotisch, eine kleine Diva. Ich musste ihm einmal vormachen, wie er die Straße entlang- schlendern sollte, einfach so. Ich habe gesagt: „Dustin, das kann ja wohl nicht wahr sein! Du bist der beste Schauspieler der Welt.“ Aber er konnte es nicht, weil er ein verunsicherter Typ ist. Das ändert sich allerdings, sobald er mit Worten arbeitet. Ich glaube, Dustin weiß, dass er die Körpersprache nicht beherrscht, die alle großen Movie-Stars haben. Diese Art zu gehen, zu schauen, den Colt rauszuziehen. Das, was man Charisma und Präsenz nennt. Harrison Ford, George Clooney oder Clint Eastwood haben das. Clint könnte ja einen ganzen Film drehen, ohne zu reden, und trotzdem alles sagen. Allerdings ist der Clint sehr distanziert, an den kommt man nicht ran.

Sie haben ihn immerhin zum Weinen gebracht.

Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber ich habe getrickst: Er steht bei „In the Line of Fire“ am Fenster und erzählt, dass er sich nicht verzeihen könne, das Attentat auf John F. Kennedy nicht verhindert zu haben. „Ich hätte Kennedys Kugel abfangen sollen“ – so eine Art von emotionaler Rede war das. Ich dachte, es wäre toll, wenn er da weint. Also habe ich zu der Schauspielerin Rene Russo, seiner Partnerin im Film, gesagt: „Nimm seine Hand und drücke sie ganz zart.“ Nicht als Schauspielerin, weil das gar nicht im Bild ist. Nur so, als ob du spürst, was er gerade fühlt. Wir drehen also, Großaufnahme aufs Gesicht, und da sehe ich, dass Renés Hand rübergeht. Clint bekommt einen Riesenschreck und ist so gerührt, dass er anfängt zu heulen. Darüber hat er noch nie geredet.

Kommt es auch mal zu handfesten Streits mit Schauspielern über bestimmte Szenen?

Manche Regisseure und Schauspieler brauchen den Streit, um die kreativen Säfte fließen zu lassen, so wie Herzog und Kinski. Ich bin da anders. Es gibt in Hollywood ja auch eine Liste mit Regisseuren, die man meiden sollte: die Monster-Liste. Alle Schauspieler und Crews kennen sie auswendig. Zehn Regisseure stehen da drauf, und ich bin nicht dabei. So soll es bleiben.

Wo sitzen Sie eigentlich im Spagos?

Ach, das gute alte Spagos, das Promirestaurant in Hollywood. Waren Sie mal dort?

Noch nicht.

Der Tisch, den man dort bekommt, ist der beste Indikator, ob die Karriere in Ordnung ist. Meiner ist ein sogenannter Power-Tisch im Garten. Dort gibt es vier Ecktische, von denen man alles überblicken kann: Wer kommt, wer geht, wer wird wohin gesetzt. Wenn ich irgendwann mal in den Hauptraum gesetzt werden sollte oder in die Nähe der Küche, dann kann ich mich eigentlich umbringen. Dann ist meine Hollywood-Karriere vorbei.

– Interview mit Ulf Lippitz