Brasilien: Janots explosive Liste

Brasilien: Janots explosive Liste

Nun ist sie heraus: die „Kronzeugenaussage vom Ende der Welt“, wie sie in Brasilien schon getauft wurde. Sie hält, was der Name verspricht.

Foto: Wilson Dias/ABr – Agência Brasil

Brasiliens Oberstaatsanwalt Rodrigo Janot hat dem Höchsten Gerichtshof des Landes die Namen von 83 Politikern übermittelt, die er wegen Korruption untersucht sehen will. Die Liste birgt enormen Sprengstoff für Brasilien. Das Land steckt seit fünf Jahren in einer wirtschaftlichen, politischen und institutionellen Krise, die sich ob der nie enden wollenden Enthüllungen korrupter Firmen und Parteien immer weiter verschärft.

Ganz oben auf Janots Liste stehen Ex-Präsident Lula da Silva und die vergangenes Jahr abgesetzte Ex-Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT). Dann tauchen die Namen von fünf Ministern der aktuellen Regierung von Präsident Michel Temer (Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens, PMDB) auf. Darunter auch Außenminister Aloysio Nunes Ferreira. Zudem sollen gegen die Präsidenten von Abgeordnetenhaus und Senat Ermittlungen eingeleitet werden. Ebenso wie gegen die Mehrheitsführer von Temers Regierung in beiden Kongresskammern.

Michel Temers Partei PMDB war jahrelang der Koalitionspartner von Dilma Rousseffs PT. Dann entschloss sie sich 2016, Rousseff zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen. Sie tat dies unter dem Vorwand, die Korruption der PT bekämpfen zu wollen. Diese Behauptung, schon damals eher ironisch zu verstehen, erweist sich nun als Farce.

Für Aufsehen sorgte zudem die Nennung verschiedener prominenter Senatoren auf der Liste, darunter Àecio Neves, der 2014 im Wahlkampf gegen Dilma Rousseff antrat und Vorsitzender der rechtsliberalen Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB) ist. Auch sein Parteifreund José Serra, bis vor wenigen Tagen noch Außenminister Brasiliens, wird der Korruption beschuldigt. Die PSDB war jahrelang in der Opposition. Michel Temer holte sie in seine Regierung.

Die Liste Janots beruht auf den Kronzeugenaussagen von insgesamt 78 Direktoren und Managern des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht. Sie wurden im Zuge des Korruptionsskandals rund um den halbstaatlichen brasilianischen Erdölgiganten Petrobras fällig, in den Odebrecht an vorderster Stelle verstrickt ist. Die Untersuchungen unter dem Codenamen „Lava Jato“ (Autowaschanlage) laufen seit März 2014. Offiziell ist die Liste zwar noch nicht öffentlich, sie wurde aber an die Medien durchgestochen. Oberstaatsanwalt Janot möchte nun auch offiziell das Siegel brechen. Die Öffentlichkeit habe ein Recht auf die Informationen, sagte er.

Die Vorwürfe gegen die Politiker umfassen unter anderem: Korruption, Korruptionsbegünstigung und Geldwäsche. In den meisten Fällen geht es um illegale Wahlkampfspenden von Odebrecht, die in sogenannte „Zweite Kassen“ flossen. So erkaufte sich Odebrecht das Wohlwollen der Politik, insbesondere wenn es um lukrative öffentliche Bauaufträge ging, etwa für die Fußball-WM 2014 oder die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro. Ebenso gelangte Odebrecht an die begehrten Aufträge des halbstaatlichen Erdölgiganten Petrobras.

Die Entscheidung, ob Ermittlungen gegen die Politiker eingeleitet werden, liegt nun beim Obersten Gerichtshof und dem in der Angelegenheit zuständigen Richter Edson Fachin. Er ist Nachfolger eines Richters, der im Januar bei einem bislang unaufgeklärten Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Dass diese Entscheidung überhaupt dem Obersten Gerichtshof zusteht, ist ein Kuriosum des politischen System Brasiliens. Es räumt politischen Funktionsträgern das Privileg ein, sich nicht der gewöhnlichen Justiz unterstellen zu müssen. Fachin hat nun unbegrenzt Zeit, um zu einer Entscheidung zu kommen. Er gilt als akribisch.

Mit der Aufzeichnung und Auswertung der Aussagen der Odebrecht-Manager waren 116 Staatsanwälte in allen fünf Unterregionen des riesigen Landes Brasiliens beschäftigt (Norden, Nordosten, Westen, Südosten, Süden). Die Aussagen wurden mit Kameras aufgezeichnet. Das gesamte Material belegt einen Speicherplatz von 500 Gigabyte. Es wird nun erst einmal geordnet, bevor Fachin zur Auswertung schreitet.

Neben den 83 Politikern sollen, laut Oberstaatsanwalt Janot weitere 210 Personen untersucht werden. Über sie wurden zunächst keine Details bekannt.

Mit einer schnellen Einleitung von Gerichtsverfahren oder gar dem Rücktritt der beschuldigten Politiker ist allerdings nicht zu rechnen. Denn der Oberste Gerichtshof ist wegen der vielen Verfahren gegen politische Amtsträger völlig überlastet und kommt nur im Schneckentempo voran. Zweitens aber tun die Politiker in Brasilien alles, um ihre privilegierten und einträglichen Positionen zu verteidigen. Während Politiker in Deutschland schon wegen eines unbedachten Hitler-Vergleichs zurücktreten, werden brasilianische Politiker der Sklaverei, des Mordes, des Landraubs und der Androhung einer Vergewaltigung beschuldigt – und sehen dennoch keinen Grund, ihr Amt wenigstens ruhen zu lassen. Der Unterhalt illegaler Wahlkampfkassen erscheint vor diesem Hintergrund fast schon als Kavaliersdelikt.

Tatsächlich existiert bereits eine Gesetzesinitiative von Politikern der aktuellen Regierungskoalition, deren Ziel es ist, den Unterhalt zweiter Kassen zu bagatellisieren. Sie würde einem Großteil der jüngsten Anschuldigungen die Grundlage nehmen. Ein einflussreicher konservativer Richter am obersten Gerichtshof – er steht persönlich Präsident Michel Temer nahe – hat bereits signalisiert, dass er die Initiative unterstützt. Auch verschiedene konservative Medienhäuser, die geholfen haben, Dilma Rousseff zu stürzen, sehen die Initiative positiv.

Oberstaatsanwalt Rodrigo Janot hat nun in einem Brief an seine Mitarbeiter geschrieben, dass es in Brasilien korrupte Machenschaften nie geahnten Ausmaßes gebe. Die Demokratie selbst stehe unter Attacke, so Janot. Sie werde durch den Missbrauch politischer und ökonomischer Macht bedroht.