Brasilien schreitet zurück

Brasilien schreitet zurück

Er wolle, dass das Volk über ihn urteile und nicht ein Gericht, rief Lula da Silva seinen Anhängern zu. Da hatte der Richter Sérgio Moro ihn gerade wegen Korruption zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Foto: Valter Campanato/ABr – Agência Brasil

Moro gründete sein Urteil gegen Brasiliens Ex-Präsidenten dabei weniger auf Beweise als vielmehr auf Indizien.

Damit bestätigte Moro, der federführend bei den Korruptionsermittlungen um den Ölkonzern Petrobras ist, was viele ihm schon lange vorwerfen: dass er weniger nach juristischen, als vielmehr politischen Kriterien entscheide. In der Tat haben Angeklagte aus dem linken Lager (wie Lula) bei ihm weniger Glück als solche aus dem rechten.

Beim Prozess um ging es freilich um mehr. Denn sollte Moros Urteil in zweiter Instanz Bestand haben, könnte Lula nicht erneut bei den Präsidentschaftswahlen 2018 antreten. Damit wäre der sanfte Staatsstreich der Rechten in Brasilien abgeschlossen. Für sie wäre die Wiederwahl Lulas im nächsten Jahr ein Schreckensszenario, und dass der 71-Jährige als Spitzenkandidat seiner Arbeiterpartei zuletzt in allen Umfragen in Führung lag, ließ die Alarmglocken schrillen.

So ist zu erklären, warum Richter Moro von der Verurteilung Lulas geradezu besessen war. In dem Prozess ging es um die Frage, ob Lula sich ein Apartment von einem Baukonzern renovieren ließ und dem Konzern als Dank Aufträge verschaffte. Lula bestritt, dass ihm das Apartment gehöre, und obwohl die Besitzfrage nie hundertprozentig geklärt wurde, verurteilte Moro ihn.

So wurde Moro zum Superheld von Brasiliens rechter Oberschicht. Doch Superhelden taugen vielleicht zu guten Rächern, aber nicht zu guten Richtern.

Der konservative Staatsstreich begann 2014, als Lulas Parteifreundin Dilma Rousseff erneut zur Präsidentin gewählt wurde. Der Kongress blockierte ihre Politik, und konservative Medienhäuser starteten eine Schmutzkampagne. Rousseff half es nicht, dass sie ungeschickt agierte und Brasilien unter ihr in eine tiefe Wirtschaftskrise schlitterte. Die Kampagne gegen Rousseff gipfelte 2016 dann in ihrer verfassungsrechtlich fragwürdigen Absetzung und der Übernahme der Präsidentschaft durch Michel Temer.

Dieser begann sofort, eine konservative und wirtschaftsliberale Politik umzusetzen, für die er an den Urnen niemals ein Mandat erhalten hätte. Aber der Arbeitgeberverband, der die großen Demos gegen Rousseff mitorganisiert hatte, zeigte sich zufrieden. Zum Symbol für Temers Präsidentschaft wurde ein Foto. Darauf ist er umringt von seinen Ministern zu sehen, ausschließlich weißen und reichen Männer, einige aus Politikdynastien, die Brasilien seit Jahrzehnten beherrschen.

Lula da Silva war zwischen 2003 und 2011 Präsident Brasiliens. Ihm gelang es, das ungerechteste Land Südamerikas ein wenig gerechter zu machen. Er führte Sozialprogramme ein, mit denen die Armut in Brasilien spürbar verringert wurde. Hunger und Analphabetismus wurden unter ihm erfolgreich bekämpft. Benachteiligte Gruppen, etwa junge Schwarze, erhielten erstmals Zugang zu weiterführender Bildung.

So wurde zu einer Ikone der Armen. Und zum Schreckgespenst der alten Oligarchien. Sie sahen ihre Macht und ihren Einfluss bedroht. Lula war ein Betriebsunfall, der sich nicht wiederholen sollte. Als seine Parteifreundin Rousseff 2014 die Wahl gewann und ankündigte, 2018 noch einmal anzutreten, zogen sie die Reißleine.

Michel Temer ist ihr williger Helfer. Er hat begonnen, ein hartes Sparprogramm umzusetzen und die Sozialausgaben zu kürzen. Der Umweltschutz sowie der Schutz der indigenen Bevölkerung sollen ebenso wie Arbeitnehmerrechte drastisch abgebaut werden. Die Agrar- und Industrielobbys bejubeln diese Politik.

Es scheint Temer bisher nicht zu schaden, dass gegen ihn (und eine Vielzahl seiner Minister) Korruptionsvorwürfe existieren, die viel handfester sind als die Vorwürfe gegen Lula. So wurde ein Assistent Temers mit einem Koffer voller Bestechungsgeld gestellt. In einem aufgezeichneten Gespräch billigt der Präsident die Zahlung von Schweigegeld an einen möglichen Zeugen gegen ihn.

Doch Temer denkt überhaupt nicht daran zurückzutreten, wie es in den meisten Demokratien dieser Welt üblich wäre. Er hält daran fest, dass es seine Aufgabe sei, Brasilien „wieder voran zu bringen“. Was er damit meint, ist der drastische Rückbau einer Politik, die Brasilien zu einem Land für alle machen sollte. Die Verhinderung von Lulas Präsidentschaftskandidatur würde die Kontinuität dieses undemokratischen Programms sichern. Zur Ruhe wird Brasilien so nicht kommen.

Nach der Dekade der Linken feiert in Brasilien die alten Oligarchie ein Comeback.