Der Traum vom Zwei-Ozeanzug

Die deutsche Bundesregierung ist offenbar ernsthaft an einem gigantischen Zugprojekt interessiert: eine Trasse quer durch Südamerika, die die Atlantikküste mit der Pazifikküste verbinden würde.

Die Strecke soll aus dem brasilianischen Santos, dem größten Containerhafen des Subkontinents über die bolivianischen Anden hinweg bis zum Hafen Ilo in Peru reichen. Sie wäre 3755 Kilometer lang, das ist etwas mehr als die Entfernung zwischen Madrid und Moskau. Ziel ist es, denn Containerverkehr zwischen Atlantik und Pazifik zu beschleunigen.

Bereits zum zweiten Mal binnen eines Jahres ist deswegen der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Rainer Bomba mit einer Delegation aus Wirtschaftsvertretern in der bolivianischen Hauptstadt La Paz eingetroffen, um Gespräche mit der Regierung von Präsident Evo Morales zu führen. Bereits im Juli 2016 hatte es bilaterale Gespräche über das Projekt zwischen bolivianischen Regierungsvertretern und der Bundesregierung in Berlin gegeben. Ganz offensichtlich ist man auf deutscher Seite bemüht, der deutschen Industrie neue Märkte in Südamerika zu erschließen. Trotz schlecht laufender Projekte wie dem Berliner Flughafen BER genießt deutsche Ingenieurskunst und Planung in Südamerika immer noch einen hervorragenden Ruf.

Mit im Boot sitzen aber nicht nur deutsche Firmen wie der Technologiekonzern Siemens, sondern auch schweizerische Unternehmen, etwa der Zugbauer Molinari aus Winterthur. Diese brächten das Knowhow für den Zugtrassenbau im Hochgebirge mit, das bei einer Andenüberquerung nötig wäre. Deutsche und schweizerische Firmen sollen daher ein gemeinsames Paket anbieten, in dem der Bau der Trasse sowie die Lieferung der Züge sowie ihre Wartung enthalten ist. Der deutschen Seite schwebt außerdem vor, Fachkräfte nach Vorbild des dualen Ausbildungssystems für die Instandhaltung und Betrieb der Strecke zu schulen. Das duale Ausbildungssystem ist in Lateinamerika leider unbekannt.

Die Kosten des gesamten Projekts werden auf 14 Milliarden Dollar geschätzt. Woher dieses Geld kommen soll, ist bisher unklar. Bolivien ist eins der ärmsten Länder der Welt; und die brasilianische Seite – der größte Teil der Trasse würde durch Brasilien verlaufen – hält sich bedeckt. Das ist wenig verwunderlich angesichts der Rezession, die das Riesenland seit fünf Jahren durchmacht. Zudem wird es geplagt von enormen Korruptionsskandalen und instabilen politischen Verhältnissen. Man muss jedoch hinzufügen, dass auf brasilianischer Seite bereits ein Großteil der benötigten Schienenstrecke existiert, es ist von 80 Prozent die Rede. Demgegenüber ist Boliviens gesamtes Schienennetz nur 3500 Kilometer lang und weitgehend in Meterspur.

So verwundert es nicht, dass auf südamerikanischer Seite die Bolivianer die größte Euphorie über das Projekt zeigen. Die Zugverbindung würde ihnen den seit Jahrhunderten erträumten Zugang zur Pazifikküste geben, der ihnen von Peru und Chile verwehrt wird und der immer wieder für nationalistische Aufwallungen in den drei Ländern sorgt. Sehr glücklich war man deswegen auch in La Paz über die Ankündigung des deutschen Botschafters Matthias Sonn, dass die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau Entwicklungsbank einen Teil der Kosten für das Projekt zuschießen würde. Wenn es denn Zustande käme.

Denn bisher gibt es neben vier Machbarkeitsstudien der Bolivianer nicht viel mehr als die Idee einer transkontinentalen Zugverbindung. Sie ist ein alter Traum. Südamerika wird, was den Handel zwischen Asien und Europa sowie der Ostküste Amerikas angeht, traditionell als Hindernis wahrgenommen. Und so gab und gibt es immer wieder Ideen, neben dem Panamakanal weitere Verbindungen zwischen Atlantik und Pazifik zu schaffen. In Mexiko ist die Rede von einer Zugverbindung; in Nicaragua will man einen umstrittenen Kanal bauen und dabei den großen Nicaragua-See nutzen.

Und auch die Idee einer Zugverbindung von Brasilien über Bolivien nach Peru ist nicht konkurrenzlos. Ebenso wie Deutschland hat China sein Interesse am Bau des Tren Bioceanico, des Zwei Ozeanzugs, deutlich gemacht. Die Eisenbahnstrecke, über deren Bau die Chinesen mit der brasilianischen Regierung verhandeln, würde jedoch eine andere Route nehmen, als die nun in Bolivien diskutierte. Sie würde zwar auch in Santos beginnen, aber dann nördlich um Bolivien herum verlaufen und vom brasilianischen Bundesstaat Acre auf peruanisches Gebiet vorstoßen. Dabei würde die Trasse auch durch die empfindliche Amazonasregion geschlagen, was Fragen nach der Umweltverträglichkeit aufwirft. Allerdings ist dieser Aspekt für Chinesen ebenso wie für Brasilianer eher zweitrangig. Entscheidender dürfte sein, dass der Bau der „chinesischen“ Trasse länger wäre (4600 Kilometer) und mit veranschlagten 70 Milliarden Dollar auch erheblich teurer würde.

Die deutsche Zug-Initiative ist also auch vor dem Hintergrund des chinesischen Vormarschs in Südamerika zu sehen. Man will den Chinesen das Feld nicht kampflos überlassen. Letztlich werden es aber die Brasilianer sein, die eine Entscheidung treffen müssen, ob Bolivien mit einbezogen wird. Nur: Aus Brasília ist nicht viel zu hören. Zwischen Brasiliens konservativem Präsident und dem linken Evo Morales herrscht Schweigen.