Die Mauer von Mexiko

Die Mauer von Mexiko

„Ich werde einen Zaun bauen. Wir werden ihn dicht machen und sagen: Hör zu José, du kommst hier nicht rein!“ Die Worte könnten von US-Präsident Donald Trump stammen.

Aber sie sind mehr als zwanzig Jahre alt. Der konservative Politiker Pat Buchanan sagte sie, als er sich 1996 um die republikanische Präsidentschaftskandidatur bewarb. „José“, das waren für ihn alle Immigranten aus Mexiko. Seinen Plan verglich Buchanan mit dem Bau der „Großen Mauer von China“.

In Mexiko machte man sich damals über den Vorschlag lustig. Denn wer würde die „Große Mauer“ bauen, wenn nicht die Mexikaner, die in den USA zu Niedriglöhnen schufteten? Auch diesen Witz hört man in Mexiko nun wieder, seit Donald Trump den Bau einer „great wall“ an der Grenze zu Mexiko angekündigt hat.

So neu und radikal vieles klingt, was Trump vorschlägt, so greift er doch vielfach nur Ideen auf, die eine lange Denktradition in den USA haben. Nirgends wird dies so deutlich wie bei der Idee mit der Mauer. Anhand der Grenze zu Mexiko führen die USA seit 170 Jahren ihre eigene Leitkultur-Debatte. Südlich der Grenze verorten Konservative dabei meist all das, was im Gegensatz zum heroischen Selbstbild vom fleißigen Weißen angelsächsischer Herkunft steht: Faulheit, Falschheit, das Sexuelle und Kriminelle. Wenn Donald Trump die Mexikaner pauschal als Verbrecher und Vergewaltiger bezeichnet, reproduziert er diese Vorstellungen. Aber auch Hollywood bedient sich ihrer gerne. Die südliche Grenze ist dort oft die Trennlinie zwischen Licht und Dunkel, zwischen Ordnung und Anarchie: von Orson Wells’ „Touch of Evil“ (1958) bis hin zu dem Horrorthriller „From Dusk ’til Dawn“ (1996). Klar, dass man sich davon abschotten will.

Trumps Rhetorik mag extrem sein, aber nicht er begann mit dem Mauerbau zu Mexiko, sondern Bill Clinton! Der Demokrat ordnete Mitte der Neunzigerjahre die Aufrüstung der Grenze an und legte den Grundstein für das, was Donald Trump nun vollenden möchte.

Schon kurz nach seiner Wahl sagte Clinton 1993: „Wir werden es härter für illegale Einwanderer machen, in unser Land zu kommen.“ Er stand unter dem Eindruck des Erfolgs des republikanischen Gouverneurs von Kalifornien Pete Wilson. Der hatte behauptet, die Grenze werde von Illegalen überrannt. Außerdem polemisierte Wilson gegen die multiethnische Gesellschaft, zu der die USA sich immer sichtbarer wandelten. Das kam bei der großen Teilen der verunsicherten weißen Bevölkerungsmehrheit an, die sich damals dem „nativism“ zuwandte. Diese Ideologie, die auf die Vorrechte der Weißen pocht, wird stets in wirtschaftlichen Umbruchszeiten stark. Auch Donald Trumps „Make America great again“ evoziert geschickt das Bild eines Amerikas vor der Einwanderungswelle aus Lateinamerika.

1994 errichteten US-Reservisten dann eine Barriere aus 180.000 Stahlplatten zwischen den Grenzstädten San Diego und Tijuana. Die Border Patrol wurde aufgestockt und mit der neuesten Überwachungstechnologie ausgestattet. Ähnliche Regimes entstanden bald in allen Ballungszentren entlang der Grenze. Das Ziel lautete: „Die Grenze muss unter Kontrolle gebracht werden.“ Bei Donald Trump hört sich das heute so an: „Ohne Grenze gibt es kein Land.“ Damals wie heute hat diese Rhetorik ein Ziel: die Öffentlichkeit soll den Eindruck gewinnen, dass die Grenze gerettet werden müsse. Denn jeder physischen Abschottung geht eine symbolische Grenzziehung voraus.

Die praktische Überlegung hinter Clintons Mauerbau lautete: Viele Einwanderer würden abgeschreckt. Der verbleibende Strom würde in abgelegene Gegenden umgeleitet, wo er endlich versiegte. Natürlich funktionierte das nicht! Die Sogwirkung der US-Wirtschaft auf die von Armut getriebenen Arbeiter aus dem Süden war und ist stärker. Die Aufrüstung hatte andere Effekte: der Aufstieg professioneller Menschenschmugglerorganisationen und die Machtausweitung der mexikanischen Drogenkartelle, welche in dem Film „Traffic“ (2000) von Steven Soderbergh realistischer als je zuvor dargestellt wird.

Schwerer noch wiegt der Tod Tausender Menschen, die in den Wüsten des Grenzgebiets bei dem Versuch verdursten, in die USA zu laufen. Was das Mittelmeer für die Flüchtlinge aus Afrika, ist die Wüste heute für Migranten aus Lateinamerika: ein riesiges Grab.

Erst vergangenes Jahr erschien der Film „Desierto“ von Jonás Cuarón, der die Grenzregion als Todesfalle porträtiert. Die Gefahr in dem Thriller geht dabei weniger von der Sonne aus, als vielmehr von einem selbsternannten Grenzsheriff, der auf undokumentierte Einwanderer schießt. Das wirkt übertrieben, hat aber einen realen Hintergrund: Seit Jahren machen paramilitärische Gruppen an der Grenze Jagd auf Migranten. Wer etwas über diese Situation erfahren will, muss sich die Dokumentation „Cartel Land“ des Regisseurs Matthew Heinamann anschauen. Er folgt einer solchen Einheit hautnah, und man kann davon ausgehen, dass alle ihre Mitglieder Trump-Wähler sind.

Doch wie wurde die US-mexikanische Grenze zu dieser ideologisch und mythisch aufgeladenen Institution? Als sie 1848 willkürlich von Washington gezogen wurde, war sie nicht mehr als eine abstrakte Linie im Sand. Zuvor hatten die Vereinigten Staaten einen zweijährigen Krieg gegen Mexiko gewonnen, an dessen Ende die Annektierung des heutigen US-Südwestens stand. Nun machten sich die neuen Herren daran, die mexikanischen Landbesitzer gewaltsam zu enteignen. Aufstände wurden mit brutaler Vergeltung beantwortet. Für zusätzliche Spannungen sorgten die Aktivitäten von Sklavenjägern, Schmugglern und Viehdieben. Die Konflikte erreichten ihren Höhepunkt während der mexikanischen Revolution, als Pancho Villa 1916 den Ort Columbus in Texas angriff. Die USA antworteten mit einer Strafexpedition, die ein Jahr lang vergeblich in Mexiko nach Villa jagte.

Diese Ereignisse prägten die Vorstellung von der Grenze als Ort der Rechtlosigkeit. Unzählige Western haben sie aufgegriffen. Etwa der wegen seiner Brutalität epochale „Wild Bunch“ (1969) von Sam Peckinpah oder der ebenfalls schwer gewalttätige „No Country for Old Men“ (2007) von den Coen-Brüder.

Mit dem Ende der mexikanischen Revolution beruhigte sich die Grenzregion zunächst. Die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Identität stellten sich die USA an anderer Stelle. Wieder ist die Ähnlichkeit mit heute verblüffend. Donald Trump hat verfügt, dass Menschen aus sieben muslimischen Ländern kein US-Visum mehr erhalten. Doch schon 1924 verabschiedete der US-Kongress den National Origins Act, der die Einwanderung aus Süd- und Osteuropa stark beschnitt. Er war Ausdruck der Ressentiments gegen jüdische, und katholische Einwanderer. Die Los Angeles Times titelte: „Nordic Victory. Präsident Coolidge kommentierte: „Amerika muss amerikanisch bleiben.“

Dieser frühe Nativismus wandte sich während der Weltwirtschaftskrise 1929 auch gegen die Mexikaner, die man für den Arbeitsplatzmangel verantwortlich machte. In Restaurants las man Schilder: „No Dogs or Mexicans“. Es folgte die erste große Deportationswelle. Bis zu einer Million Mexikaner wurden über die Grenze geschafft. Es ist ein Szenario, wie es nun Donald Trump vorschwebt, der geschätzte elf Millionen illegale Einwanderer ausweisen möchte. Bis heute hat diese Politik einen Effekt: Die Arbeitskraft der rechtlosen und bedrohten Arbeiter wird billiger. Die US-Wirtschaft und die Konsumenten profitieren.

Als der Zweite Weltkrieg dann zum Mangel an männlichen Arbeitern führte, beschloss Washington ein Gastarbeiterprogramm. Zwischen 1942 und 1964 kamen bis zu fünf Millionen mexikanische Männer legal in die USA, Frauen waren ausgeschlossen. Ein Bauer kommentierte: „Früher hatten wir Sklaven, jetzt mieten wir sie von der Regierung.”

Das Programm änderte jedoch nichts daran, dass die Einwanderer Sündenböcke blieben. 1954 folgte mit „Operation Wetback“ eine weitere Deportationswelle. Politiker und Medien beschuldigten die Mexikaner, Mord, Prostitution und Drogenhandel ins Land gebracht zu haben. Nun wurden sie auf Farmen, Baustellen, in Fabriken und Restaurants aufgespürt und deportiert. Viele standen nur wenig später schon wieder auf den Feldern Kaliforniens. Die Grenze war für die Arbeiter aus Mexiko zu einer Drehtür geworden: Herrschte Bedarf an billigen Arbeitskräften: rein. Herrschte Krise: raus. Einer breiten Öffentlichkeit wurden diese Bedingungen erstmals 1960 in der CBS-Fernsehdoku „Harvest of Shame“ gezeigt. Danach verschwand das Thema aus dem Fokus.

Erst während der Ölkrise Mitte der Siebzigerjahre, fand man in den Mexikanern erneut den perfekten Sündenbock. Präsident Gerald Ford sagte: „Das größte Problem ist: Wie werden wir die sechs bis acht Millionen Fremden los?” Sein Justizminister fügte hinzu: „Am Ende des Jahrhunderts gibt es 120 Millionen Mexikaner. Wir haben nicht genug Kugeln, um sie zu stoppen.” Nicht zufällig erschien 1980 der Film „Borderline“, in dem US-Grenzschützer die Helden sind. Die Hauptfigur, gespielt von Charles Bronson, sagt an einer Stelle: „Die Illegalen überrennen uns.“

Zur Beschwörung der Invasion aus dem Süden gesellte sich in den Siebzigern die Furcht vor einer mexikanischen Separatistenbewegung im US-Südwesten. Dass die Mexican-Americans die annektierten Territorien einfordern könnten, warnte der damalige CIA-Direktor. Diese Angst existiert bis heute. 2004 prophezeite der Politologe Samuel Huntington, dass den USA ein Latino-Separatismus bevorstehe. Der Harvard-Professor schrieb, dass ein spanischsprachiges und katholisches Quebec im US-Südwesten drohe. „Blut ist dicker als Grenzen“, befand er. Dagegen müsste das weiße Amerika sich wehren.

Donald Trumps Rassismus und seine Mauer sind also nichts Neues. Aber er hat den Diskurs auf eine neue Stufe gestellt. Da ist erstens sein Größenwahn: Er will die gesamte Grenze auf 3200 Kilometern abschotten – es ist die Luftlinie zwischen Madrid und Moskau. Zweitens begreift er die Mauer anders als alle seine Vorgänger auch als ökonomischen Schutzwall.

Denn war Clintons Mauerbau auch eine Folge des Freihandelsabkommens Nafta, weil die wirtschaftliche Entgrenzung Ängste vor Einwanderungsströmen und zunehmendem Drogenhandel geweckt hatte, so betreibt Trump einen neuen Isolationismus. Nicht nur Mexikaner sollen ausgeschlossen werden, sondern auch Produkte aus Mexiko. Auf das Primat des Freihandels folgt unter Trump das Primat der Mauer.