Generalstreik in Brasilien

Generalstreik in Brasilien

Das Zentrum von Rio de Janeiro wurde von beißenden Rauchschwaden durchzogen. An mehreren Stellen in der Stadt brannten Busse, die Flammen schlugen meterhoch. Während die Feuerwehr nicht damit hinterher kam, die Brände zu löschen, zogen Vermummte durch die Stadt und zerstörten Bankfilialen und Bushaltestellen.

Foto: Esquerda Online

Polizisten in schwarzer Kampfmontur von der Tropa de Choque, der Schocktruppe, machten unterdessen Jagd auf Demonstranten und schossen Tränengasgranaten und sogenannte Bomben mit Moraleffekt, die einen ohrenbetäubende Knall erzeugen. Es war die Schocktruppe selbst, die nach Augenzeugenberichten am frühen Abend den Gewaltreigen in Gang gesetzt hatte, als sie eine friedliche Gruppe von Demonstranten vor Rios Landesparlament angriff. Erst als es später in der Nacht stark zu regnen begann, beruhigte sich die Situation in Rios Zentrum wieder.

So sah das dramatische Ende eines Tages aus, der in Brasilien mit Spannung erwartet worden war: Die Gewerkschaften hatten für Freitag zum Generalstreik aufgerufen. Sie wollten gegen zwei Reformen protestieren, die in Brasilien für erbitterte Diskussionen sorgen. Zum einen will die konservative und bis zum Hals in Korruptionsskandale verstrickte Regierung von Präsident Michel Temer das Arbeitsrecht reformieren, soll heißen: zahlreiche Arbeitnehmerrechte abschaffen. Zum anderen soll das Rentenrecht grundlegend zum Nachteil der Arbeitnehmer verändert werden.

Keins der beiden Projekte wurde einem gesellschaftlichen Diskurs ausgesetzt. Außerdem hat Präsident Temer keine demokratische Legitimation, ist er doch erst durch die umstrittene und dubiose Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff an die Macht gelangt. Dass er nun eine Politik betreibt, die in Brasilien niemals eine Mehrheit an den Urnen bekommen würde, bringt viele Menschen in Rage. Temers Zustimmungsrate liegt derzeit im einstelligen Bereich.

Dennoch beteiligte sich am Freitagmorgen zunächst nur eine Minderheit am ausgerufenen Generalstreik. Viele Arbeitnehmer assoziieren die Gewerkschaften zu sehr mit der Arbeiterpartei (PT) der Ex-Präsidenten Rousseff und Lula da Silva. Die PT ist für viele Brasilianer nicht zu Unrecht zum Inbegriff der Korruption geworden, weil sie in die beiden großen Skandale um den Ölkonzern Petrobras und die Baufirma Odebrecht verstrickt ist. Zudem fürchteten viele Repressionen durch ihre Arbeitgeber. São Paulos konservative Bürgermeister João Doria bezeichnete etwa die Streikenden als „faule Vagabunden“ und versprach, arbeitswilligen Staatsangestellten ein Uber-Taxi zu bezahlen.

Dennoch gelang es den Streikenden die Millionenstädte São Paulo und Rio de Janeiro in Teilen lahm zu legen. In São Paulo fuhren am Freitagmorgen weder U-Bahnen noch Busse. Viele der wichtigsten Straßen der notorisch verstopften Stadt waren blockiert. Demonstranten verbrannten Reifen auf der Fahrbahn, schwenkten rote Fahnen und hielten Transparente gegen Präsident Temer in die Höhe. Ein ähnliches Bild in Rio de Janeiro. In Brasiliens zweitgrößter Stadt waren Fähranleger, Bushaltestellen sowie die wichtige Brücke über die Guanabara-Bucht blockiert.

Berichten zufolge schlossen sich in allen der 26 Bundesstaaten Brasiliens Arbeitnehmer dem Streik an, darunter Lehrer, Bankangestellte, Busfahrer, Krankenschwestern, Ölarbeiter, öffentliche Angestellte und Studenten. Obwohl der Streik nicht so massiv ausfiel, wie von den Gewerkschaften erhofft, war es doch der größte Protest gegen die Regierung von Temer seit seinem Amtsantritt im Herbst 2016.
Temer hat es bisher nicht geschafft, den versprochenen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen.

Stattdessen fordert er Opfer von der Bevölkerung und versucht ein wirtschaftsliberales Programm auf dem Rücken der Arbeitnehmer umzusetzen. Tatsächlich, so kam heraus, wurden weite Teile der Gesetzentwürfe auf Computern der Arbeitgeberverbände verfasst. Temer sowie acht seiner Minister sind unterdessen in Korruptionsaffären verstrickt, weigern sich aber Konsequenzen zu ziehen.

Diese Widersprüche ärgern viele Brasilianer ebenso stark wie die Weigerung der Politiker in Brasília ihre enormen Gehälter und byzantinischen Privilegien aufzugeben. In dieser Situation sehen gerade jungen Menschen keine Perspektiven mehr. „Entweder es gibt bald eine Revolution“, sagte etwa die 28-jährige Juristin Quênia Emiliano auf einem Protest am Freitag in Rio. „Oder ich werde versuchen, auszuwandern. Ich sehe keine Zukunft mehr für Brasilien mit diesen Politikern.“

Es sind Sätze, wie man sie derzeit häufig hört. Just am Freitag wurden auch die neuesten Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Mehr als 14 Millionen Brasilianer sind arbeitslos, es ist eine Quote von 13,7 Prozent, ein neuer Rekord.

Auch das ist ein Grund für den erschreckenden Anstieg der Straßenkriminalität im ganzen Land. So machten sich am Freitagabend Diebesgruppen auf, um die allgemeine Konfusion zu nutzen und Raubüberfälle auf Passanten in Rios Zentrum zu begehen. Brasilien, das noch vor wenigen Jahren als wirtschaftliche Aufsteigernation des 21. Jahrhunderts gefeiert wurde, rutscht immer tiefer in eine politische und soziale Krise. Dass die Bomben mit Moraleffekt in den Kongress in Brasília geschmissen gehörten, riefen die Demonstranten den Polizisten am Freitag noch zu.