Heiße Weihnacht in Brasilien

Wenn die Brasilianer immer leichter bekleidet durch die Straßen schlendern, wenn sie feste Schuhe gegen Flipflops tauschen, lange Hosen gegen Shorts (oder Miniröcke) sowie Hemden gegen Muskelshirts, dann weiß man sicher: Weihnachten steht vor der Tür.

Mit dem Beginn des Dezembers steigt das Thermometer in Rio de Janeiro verlässlich auf über 30 Grad Celsius. Die Klimaanlagen in den Büros laufen auf Hochtouren, die Stadtstrände in Copacabana und Ipanema sind schon morgens gut besucht.

Für denjenigen, der also den zentraleuropäischen Winter gewohnt ist, ist dies ein klimatisch ungewöhnliches Setting, um Weihnachten zu begehen. Während sich der Mitteleuropäer immer mehr hinter die eigenen vier Wände zurückzieht, je näher das Fest rückt, so strebt der Brasilianer immer stärker ins Freie. Weihnachten unter den Bedingungen des tropischen Sommers hat wenig mit der Andächtig- und Innerlichkeit zu tun, die man in Deutschland gemeinhin mit den Festlichkeiten verbindet. Die Idee des Feierns ergo gute Laune haben, steht hier klimabedingt im Vordergrund.

Dennoch ist auch das brasilianische Weihnachten nicht von den ästhetischen Zumutungen der Globalisierung verschont geblieben. In den Supermärkten dudelt das unvermeidliche Jingle Bells, und ein weiß-rot verpackter Santa Claus mit Rauschebart grüßt die Kinder mit Brummstimme auf dem Parkplatz während ihm der Schweiß von der Stirn in die Stiefel strömt. Ebenso wenig darf in brasilianischen Haushalten der Weihnachtsbaum fehlen. Zwar könnte man problemlos einen kleinen Mangobaum oder eine Bananenstaude aufstellen, doch es muss eine Tanne sein. Diese ist dann zwangsläufig aus Kunststoff – und somit praktischerweise jedes Jahr wiederverwendbar.

Das Frohe Fest beginnt auch in Brasilien am 24. Dezember, und wenn wir uns einmal eine traditionelle, katholisch geprägte Familie anschauen – sagen wir aus dem unteren Mittelstand –, dann läuft der Tag folgendermaßen ab: Der weibliche Teil der Familie steht in der Küche und bereitet einen Truthahn zu. Dazu gibt es sündhaft teure Nüsse, Stockfisch (auch gerne in Form frittierter Bällchen, bolinho de bacalhau genannt) und Rabanada: ein luftiges Brot, das vor dem Verzehr in einer Mischung aus Milch, Zucker und geschlagenem Einweiß gebadet wird.

Familien, die auf dem Land leben oder ein Häuschen an der Peripherie haben, mästen häufig ein Schwein. Als typischer Weihnachtssound am Stadtrand Rios gilt denn auch das verzweifelte Quieken der Vierbeiner, die gewahr werden, dass ihre letzte Stunde geschlagen hat. Dann schon lieber Jingle Bells.
Im kulturell sehr eigentümlich gestrickten Nordosten Brasiliens übrigens werden weder Truthahn noch Schwein verzehrt. Dort muss es gleich ein ganzes Rind sein.

Für die brasilianischen Herren der Schöpfung (zumindest den unemanzipierten Teil, also 95 Prozent) verläuft der Tag anders als für die Frauen: nicht in der Küche, sondern unter freiem Himmel (im Hof, im Garten oder auf der Straße), wo mit Familienangehörigen und Nachbarn getrunken wird. Und zwar Wein und ausnahmsweise nicht das dünne brasilianische Bier – so viel Luxus muss sein. (Anzumerken bleibt, dass dies nur den katholischen beziehungsweise areligiösen Teil der Brasilianer betrifft, denn die zahlreicher werdenden evangelikalen Pfingstkirchler trinken keinen Alkohol.)

Am frühen Abend geht man dann beschwingt in die Messe, lässt sich von Weihrauch und Gesang einlullen und freut sich auf das anschließende Festmahl daheim. Dort liegen unter dem Weihnachtsbaum schon die Geschenke, denn das Fest ist auch in Brasilien eine Konsumschlacht – zumal in den letzten 15 Jahren immer mehr Brasilianer zu einem gewissen Wohlstand gekommen sind, den sie gerne demonstrieren.

Der 25. Dezember ist dann einer der wenigen Tage in Brasilien, an denen einmal nichts geöffnet hat: kein Geschäft, keine Eckkneipe, kein Restaurant. Man ist mit Kind und Kegel beisammen, sitzt im Freien, geht an den Strand und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Wenn dieser sich nicht dazu entscheiden sollte, den Brasilianern eins seiner heftigen Tropengewitter zu schicken, die binnen Minuten ganze Ortschaften unter Wasser setzen und für stundenlange Stromausfälle sorgen. Dann laufen weder Klimaanlagen, Kühlschränke noch Ventilatoren. Keinesfalls ist Weihnachten in Brasilien also eine unterkühlte Angelegenheit.