Lula da Silva: Kandidat oder Knast

Lula da Silva: Kandidat oder Knast

Das Aufeinandertreffen war zum Kampf der Titanen stilisiert worden. Eine Zeitschrift zeigte zwei aufgemuskelte Boxkämpfer im Ring, eine andere zwei Superhelden im Clinch.

Foto: Ricardo Stuckert/Presidência da República – Agência Brasil

Das tatsächliche Duell verlief dann weniger spektakulär – und doch mag von ihm die politische Zukunft Brasiliens abhängen. Der brasilianische Richter Sérgio Moro hatte Brasiliens Expräsident Lula Inácio da Silva zum Verhör in die Stadt Curitiba beordert.

Sérgio Moro ist der Richter, der die Operation Lava Jato (Autowaschanlage) leitet, wie die Untersuchungen im Schmiergeldskandal um die Erdölgesellschaft Petrobras heißen. Es sind die größten Korruptionsermittlung in der Geschichte Brasiliens. Für die einen ist der gut aussehende Moro darüber zum Volkshelden geworden, ein Saubermann, der furchtlos in Brasiliens verkommener politischer Klasse aufräumt. Für die anderen ist der 44-Jährige hingegen ein parteiischer Selbstdarsteller, der mit juristisch fragwürdigen Methoden einzig Jagd auf Lulas Arbeiterpartei (PT) macht, während er konservative Politiker mit Samthandschuhen anfasst.

Tatsächlich ist es Moros erklärtes Ziel, Lula hinter Gitter zu bringen. Sollte ihm dies gelingen, könnte Lula nicht wie geplant erneut zu den Präsidentschaftswahlen 2018 antreten. Bei diesen käme Lula allen Umfragen zufolge in die Stichwahl.

Es ging bei dem Verhör also um weit mehr als nur die Aufklärung eines strafrechtlichen Vergehens. Fünf Stunden lang befragte Moro den Expräsidenten. Anschließend zirkulierten Videoaufnahmen im Internet. Der 71-jährige war staatsmännisch in Krawatte und grauem Anzug erschienen und konnte seine Ungeduld mit dem jungen Ermittler nicht verbergen. „Zeigen Sie mir endlich einen Beweis. Schluss mit: ‘Der oder die hat gesagt’“, herrschte er Moro einmal an. Ein anderes Mal kündigte Sérgio Moro „schwierige Fragen“ an, worauf Lula entgegnete: „Es gibt keine schwierigen Fragen für denjenigen, der die Wahrheit sagt.“

Die meisten Vorwürfe der Ermittler ließ Lula denn auch mit der Gewissheit an sich abperlen, immer noch der populärste Präsident in der Geschichte Brasiliens zu sein. Und derjenige, der mit seinen Programmen am meisten gegen die Armut getan hat. Zu seiner Amtszeit zwischen 2003 und 2010 galt Lula zeitweilig sogar als beliebtester Staatsmann der Welt.

In fünf Fällen hat Sérgio Moro ihn nun angeklagt. Er soll nach seiner Amtszeit Einfluss auf den Kauf schwedischer Kampfflugzeuge für die brasilianische Luftwaffe genommen haben. Er soll dem brasilianischen Baukonzern Odebrecht einen Auftrag in Angola verschafft haben. Er soll die Lava Jato-Ermittlungen behindert haben. Er soll außerdem der Geldwäsche schuldig sein, weil er Gelder aus dem Petrobras-Skandal für den Kauf eines Terrains umleitete, auf dem der Sitz seiner Stiftung errichtet werden sollte. Zuletzt soll Lula Vorteile bei der Renovierung eines Apartments in Anspruch genommen haben, die von Baufirmen im Gegenzug für Auftragsbeschaffungen erledigt wurden. Doch Lula bestreitet, dass ihm das Apartment überhaupt gehöre. Einzig um diesen letzten Fall ging es am Mittwoch in Curitiba.

Die Vorwürfe gegen Lula sind eher gering im Vergleich zu den Anschuldigungen gegen andere brasilianische Spitzenpolitiker, darunter acht Minister der aktuellen Regierung von Präsident Michel Temer. Aber sie reichen aus, um Brasiliens konservative Eliten zu mobilisieren, die Lula seit jeher skeptisch bis feindselig gegenüberstehen. Allen voran der Globo-Konzern, der eine Art Medienmonopol in Brasilien besitzt. Er verwendet eine enorme Sendezeit dafür, Lula in die Nähe krimineller Machenschaften zu rücken.

Auch dies hat zur extremen Polarisierung des Landes in links und rechts beigetragen. In Curitiba demonstrierten während des Verhörs Tausende Anhänger Lulas gegen die angebliche „Verfolgung“ des Ex-Präsidenten, sie waren aus vielen Teilen Brasiliens angereist. Andere zeigten ihre Unterstützung für den Richter Moro und präsentierten Puppen von Lula in Gefängniskluft. Dass es bei dem Verhör um eine strafrechtliche Untersuchung ging, die juristischen Kriterien zu genügen hat, ging dabei fast unter.

Im Anschluss an die Befragung trat Lula bei einer Kundgebung auf. Begleitet wurde er von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die vergangenes Jahr unter fragwürdigen Umständen abgesetzt wurde. Mit heiserer Stimme bekräftigte Lula seine Absicht, nächstes Jahr zu den Präsidentschaftswahlen anzutreten. „Ich hatte noch nie so viel Lust, mehr zu machen, es besser zu machen; und einmal mehr zu beweisen, dass die brasilianische Elite keine Kompetenz hat, dieses Land zu verbessern. So wie es ein Metallarbeiter mit vier Jahren Schulbildung kann.“ Der Metallarbeiter, das ist natürlich Lula selbst. Es hängt nun von Richter Sérgio Moro ab, ob er es noch einmal versuchen darf.