Rio: Bürgermeister gegen Karneval

Rio: Bürgermeister gegen Karneval

Kann das wirklich sein: Rio ohne Karneval? Wäre das nicht wie koffeinfreier Kaffee, Dick ohne Doof, Trump ohne Twitter? Der ganze Witz wäre weg. Aber die Drohung ist ausgesprochen: Rios Karnevalsschulen haben angekündigt, den Karneval 2018 ausfallen zu lassen.

Der Grund: Rios Bürgermeister Marcelo Crivela sagt, er müsse sparen und hat den Sambaschulen die Hälfte des Geldes gestrichen, das sie jährlich für die Organisation des Karnevals von der Stadt bekommen. Es geht um einen Betrag von umgerechnet 3,5 Millionen Euro. Crivella, seit Januar Stadtoberhaupt, möchte das Geld lieber in die 160 städtischen Kindergärten stecken.

Das klingt erst einmal plausibel. Denn Rio de Janeiro hat eine tiefe Finanzkrise zu bewältigen. Lehrer, Krankenschwestern und andere öffentliche Angestellte werden nur noch in Raten bezahlt.

Infrastrukturprojekte liegen brach, darunter auch der gigantische Olympiapark. Ohnehin die Olympischen Spiele: Mindestens 13,1 Milliarden Dollar haben sie den Staat laut neuesten Berechnungen gekostet, ohne dass dem vergleichbare Einnahmen gegenüberstehen würden.

Nun sollen die Bustickets wieder einmal teurer werden, der Service aber nicht besser. Die Armenspeisung (65 Cent pro Mahl) wurde ausgesetzt, obwohl die Zahl der Obdachlosen drastisch zugenommen hat. Ebenso steigt die Kriminalität. Allein im April registrierte Rio mehr als 12000 Raubüberfälle. Es ist der höchste Wert seit 2002, die Polizei entschuldigt sich mit fehlenden Ressourcen.

Vor diesem Hintergrund scheint Crivellas Entscheidung also nachvollziehbar. In Krisenzeiten sind Kinder wichtiger als Karneval, das versteht jeder.

Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch, dass Crivella der Pastor einer konservativen evangelikalen Sekte ist. Seine Universalkirche des Reich Gottes lehnt Ausschweifungen (Alkohol, Tabak, außerehelichen Sex) ab und hält den Karneval zwangsläufig für Teufelszeug. Schon dieses Jahr blieb Crivella dem traditionellen Umzug im Sambodrom fern. Seine demonstrative Abwesenheit war auch damit zu erklären, dass einige Sambaschulen die afrikanischen Wurzeln Brasiliens in ihren Shows thematisierten. Crivellas Kirche aber dämonisiert die afrobrasilianische Kultur.

Vor diesem Hintergrund scheint es so, als ob Crivella nun einen billigen Anlass gefunden hat, um seinen christlichen Fundamentalismus durchzusetzen und Rio zu entkarnevalisieren.

Das letzte Wort in der Angelegenheit ist jedoch noch nicht gesprochen. Die Liga der Sambaschulen (Liesa), welche die zwölf besten Schulen Rios repräsentiert, hat einen offenen Brief an den Bürgermeister geschrieben. Darin betont man, dass der Zuschuss der Stadt keine Spende sei, sondern eine Investition. Der Umzug würde Tausende Arbeitsplätze schaffen, zahlreiche Touristen in die Stadt locken und für enorme Steuereinnahmen sorgen. Tatsächlich werden jedes Jahr fast eine Milliarde Euro während des Karnevals umgesetzt, wie die Tourismusagentur Riotur errechnet hat.

Hinzukommt, dass Rios Sambaschulen keine Spaßvereine sind, sondern Unternehmen, die das ganze Jahr über Schneiderinnen und Handwerker beschäftigen. Tausenden Musikern und Tänzern bieten sie eine Heimat und ganzen Stadtteilen eine Identität. Es gehört allerdings auch hier zur Wahrheit, dass viele Präsidenten der Sambaschulen ihre Finger in kriminellen Machenschaften haben – etwa Glücksspiel oder Geldwäscherei. Sie führen die Schulen wie Potentaten, dazu zählen auch blutige Machtkämpfe.

Es treffen in Rio also zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander. Hier die bunte und fröhliche Halbwelt des Samba, dort die biederen Vorstellungen eines religiösen Fundamentalisten im Rathaus.

Dass der Umzug der Karnevalsschulen 2018 tatsächlich ausfällt, kann sich in Rio bisher noch niemand richtig vorstellen. Die Sambaschulen drängen auf eine Lösung des Konflikts und haben um einen Gesprächstermin beim Bürgermeister gebeten. Im Internet haben prominente Musiker zu einer großen Trommelei vor dem Rathaus aufgerufen. Motto: „Lass den Samba nicht sterben, lass den Samba nicht enden!“ Rios Bürgermeister dürfte Oropax und Bibel bereitliegen haben.