Rio: Streit beim Karneval um Indios

Rio: Streit beim Karneval um Indios

Wenige Tage vor dem großen Umzug haben sie den umstrittenen Namen dann doch noch geändert. Nicht mehr „Die Großbauern und ihre Pestizide“ soll der Flügel aus Tänzern nun heißen, sondern: „Der falsche Einsatz der Agrochemie“.

Die Kostüme bleiben freilich dieselben. Auf der Brust tragen die Umzügler ein Totenkopfemblem und auf dem Rücken haben sie einen symbolischen Kanister mit Pestiziden geschnallt. Dennoch scheint die Namensänderung besänftigend gewirkt zu haben. Die Angriffe der Bauernlobby hätten nachgelassen, so hört man aus der Sambaschule Imperatriz Leopoldinense.

Diese hat im diesjährigen Karneval für einen heftigen Streit gesorgt. Denn zum Thema ihres Umzugs hat die Schule die Bedrohung des Amazonaswaldes und seiner Völker gemacht. Imperatriz Leopoldinense, deren Heimat inmitten mehrerer Favelas liegt, widmet sich damit nicht zum ersten mal einem sozialpolitischen Thema. Sie nahm sich bereits der „Entdeckung Brasiliens“ kritisch an sowie dem prägenden Einfluss der afrikanischen Kulturen auf dieses Land. „Aber niemals gab es deswegen so einen Aufstand“, sagt der Präsident der Schule, Luiz Pacheco Drumond. Man habe den Beitrag der indigenen Völker für Brasilien würdigen wollen. Er hätte nicht damit gerechnet, dass sich die mächtige Agrarlobby Brasiliens deswegen einmischt. Pacheco spricht sogar von einer Diffamierungskampagne.

Schon bald nachdem das Karnevalsthema seiner Schule bekannt geworden war, machten die Bauernverbände Brasiliens Alarm. Auf Webseiten, in Pressekommuniqués und TV-Programmen wurde polemisiert. Es hieß, die Sambaschule zeichne ein romantisches Bild der Indianer und dämonisiere die große Fortschrittsmaschine Landwirtschaft. In Rio de Janeiro habe man keine Ahnung von der Realität auf dem Lande und keinen Respekt vor einem der größten Arbeitgeber Brasiliens. Besonders kritisiert wurde eine Abteilung in dem mehr als 1000 Tänzer umfassenden Umzug. Ebenjene mit dem provokanten Namen: „Fazendeiros e seus agrotóxicos“ – Großbauern und ihre Pestizide.

Die Vereinigung der Züchter des Zebu-Rinds schrieb aufgebracht, dass es inakzeptabel sei, dass das größte Volksfest Brasiliens den haltlosen Attacken der Sambaschule eine Bühne biete. In einem Fernsehprogramm, das sich wohlwollend mit der Agrarindustrie beschäftigt, giftete die Moderation gar, dass die Indianer doch einfach an Malaria sterben sollten, wenn sie etwas gegen den Fortschritt hätten.

Wenn sie Indianer seien, sollten sie auch so leben, im Wald bleiben und die Klappe halten. Der Chef des großen Sojabauernverbands des Bundesstaats Mato Grosso verstieg sich gar zu der Aussage, die Sambaschule redete einer großen „Indigenen Nation unter UN-Aufsicht“ das Wort. Es seien kulturelle Kommunisten am Werk, die von Herbert Marcuse und der Frankfurter Schule geblendet seien.

Man kann getrost sagen, dass mit einem Schlag das ganz rückständige Denken von Brasiliens Großbauernschaft ans Licht trat. Es scheint schon vor vielen Jahren stehen geblieben zu sein. Der Wald und seine Bewohner werden darin lediglich als Hindernisse auf dem Weg zu noch größeren Viehweiden und Anbauflächen für gentechnisch veränderte Monokulturen wie Soja und Mais betrachtet.

Dieser Expansionsdrang führt zu zahlreichen Landkonflikten mit indigenen Völkern, mit den Gemeinden von Nachkommen geflohener afrikanischer Sklaven, den Quilombos, sowie mit Kleinbauern. Diese enden vielfach tödlich, weil die Großbauern nicht selten Pistoleiros schicken, um die Alteingesessenen einzuschüchtern. Der Staat ist in diesen Gegenden meist fern oder kooperiert mit den Großgrundbesitzern.

Außerdem aber setzen brasilianische Großbauern zwei Dutzend Pestizide ein, die in Europa und den USA teils schon seit 25 Jahren verboten sind. Keine andere Bevölkerung auf der Welt nimmt mit mehr Agrochemie mit der Nahrung zu sich als die brasilianische. Dies ist möglich, weil Brasiliens Großgrundbesitzer eine mächtige Lobby haben. Eine nicht geringe Zahl von Senatoren und Abgeordneten in Brasilia ist selbst Großbauer oder wird von der Agrarindustrie finanziert. So ist denn auch der gewaltige Aufschrei zu erklären: Die Sambaschule Imperatriz Leopoldinense, achtfacher Gewinner des Umzugs und nicht irgendeine Schule, hat eine sensible Wahrheit ausgesprochen.

Benannt wurde die Sambaschule übrigens nach einer alten Zugstation in Rio. Diese wiederum war nach der Habsburgerin Maria Leopoldine von Österreich benannt, die gleichzeitig Königin von Portugal und Kaiserin Brasiliens war. Die Farben der Schule sind Weiß und ein kräftiges Grün. In diesen zieht bei der Generalprobe in einer warmen Nacht in Rio auch die sogenannte Eröffnungskommission durch das langgezogene Sambódromo, ein Block von Tänzern, der jeden Umzug anführt. Sie tragen den typischen weit aufgefächerten Federschmuck der Amazonasindios und führen einen indigenen Tanz auf. Auch die folgenden Tänzergruppen tragen durchgehend Federschmuck. Bei der Generalprobe noch nicht zu sehen, sind die Originalkostüme und die üppigen Themenwagen.

Das Thema umgesetzt hat dieses Jahr Cahê Rodrigues. Der kräftige Schwarze mit Hipsterbrille ist der Carnevalesco von Imperatriz Leopoldinense. Das ist eine Art Drehbuchautor und Regisseur in einem. Um sich ein Bild zu machen, besuchte Rodrigues indigene Dörfer im Nationalpark Xingu in der Amazonasregion. Hinterher stand der Titel für den Umzug fest: „Xingu – Der Klageruf aus dem Wald“. Rodrigues erzählt, wie er mehrere Tage in einer traditionellen Indio-Hütte schlief. „Die Indigenen leben in ständiger Furcht vor einer Invasionen durch Großgrundbesitzer“, sagt er.

Zeremonienmeister Rodrigues weist auf die vielen verschiedenen Aspekte hin, die der Umzug anspreche. Beispielsweise den umstrittenen Staudammbau von Belo Monte. Der wird einmal das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein, staut jetzt schon den mächtigen Rio Xingu, überflutet riesige Flächen Urwald und gefährdet die Lebensgrundlage der indigenen Völker an seinen Ufern. Im Text des Sambas von Imperatriz Leopoldinense heißt es: „Belo Monster stiehlt die Erde seiner Kinder, zerstört den Wald und trocknet die Flüsse aus. Die Gier zerstört den Reichtum.“ Die Ureinwohner bezeichnet das flotte Lied als „die wahren Herren dieser Erde“.

Das ist natürlich etwas kitschig, aber man habe eine Botschaft formulieren wollen, sagt Rodrigues: „Respekt vor der Schöpfung und ihrer Vielfalt.“ Der 42-Jährige betont die soziale Verantwortung, die man als Sambaschule habe, wenn die Augen der Welt auf Rio de Janeiro gerichtet seien.

Das mag seltsam klingen in Europa, wo von Rios Karneval oft nur die Fotos von knapp bekleideten Tänzerinnen mit langen Pfauenfedern ankommen. Aber es stimmt: In Brasilien werden die Themen beachtet, die sich die Sambaschulen aussuchen. Ihre Umsetzung fließt erheblich in die Endnote ein. Am Ende stimmte auch Cahê Rodrigues der Änderung des Namens zu. Er sagt: „Wir wollten eine Verallgemeinerung vermeiden.“ Auch der Präsident des Landvereinigung Brasiliens, eines weiteren Dachverbands, gab sich versöhnlich. Die Episode habe die Möglichkeit eröffnet, um die Arbeit der Bauern einmal ins rechte Licht zu rücken, sagte Marcelo Vieira. Die Agroindustrie sei ein modernes Geschäft, genauso wie der Karneval. „Unser beider Produkte sind Visitenkarte Brasiliens.“

Da war er dann also doch: der versöhnliche Geist des Karnevals von Rio, der für eine Woche all die tiefen Widersprüche dieses Landes in Harmonie auflöst.