Ecuador: i-Phone und Federschmuck

Ecuador: i-Phone und Federschmuck

Heriberto Gualinga zeigt auf den weitgespannten Amazonashimmel. „Wir sind Millionäre“, sagt er. Der Indio schaut zu den Kindern, die mit Speeren zum Fluss laufen, um zu fischen und schon wenig später mit gefüllten Netzen wiederkehren.

Er deutet auf die Bananen- und Maniokstauden. Er blickt zu den Jugendlichen, die auf Bäume klettern und Früchte pflücken. „Alles ist im Überfluss vorhanden“, sagt Gualinga.

Aber die Idylle trügt in Sarayaku, einem Dorf im Amazonaswald Ecuadors, das von Indios vom Volk der Kwicha bewohnt wird. Der Dorfrat sitzt zusammen. Die Männer und Frauen haben Nachricht erhalten, dass die italienische Agip und andere Ölfirmen die Gemeindegrenzen verletzen. Aus vier benachbarten Ölbohrgebieten würden sie auf das Territorium von Sarayaku vordringen. „Es geht wieder los“, sagt Heriberto Gualinga. „Wir sind eingekreist.“

Sarayaku hat es zu internationaler Berühmtheit gebracht. Im Jahr 2002 verklagte das kleine Dorf den Staat Ecuador vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Regierung hatte damals einer Erdölfirma die Lizenz erteilt, auf dem Gemeindeland Sarayakus nach Öl zu bohren. Sarayaku legte Einspruch ein. Nach fast zehn Jahren Prozess gaben die Richter den Dorfbewohnern recht, die mit Federschmuck im Gerichtssaal saßen: Die Regierung hätte der Ölfirma die Bohrlizenz nicht gegen den Willen der Indios von Sarayaku geben dürfen. Ecuador wurde verurteilt, 1,3 Millionen Dollar Schadenersatz an das Dorf zu zahlen.

Beobachten fiel neben dem spektakulären Urteil noch etwas anderes auf: Während bei vielen indigenen Völkern der Zusammenhalt zerbricht, sobald „der weiße Mann“ erscheint, wurde Sarayaku durch die Auseinandersetzung ums Öl erst stark. Somit ist die Geschichte von Sarayaku auch eine darüber, wie es einem Indio-Dorf gelingen kann, seine uralten Traditionen zu bewahren und dennoch in der modernen Welt zu bestehen.

Mit 135 000 Hektar hat Sarayaku eine Menge Land zu verteidigen, das meiste ist unberührter Dschungel. Eine Straße nach Sarayaku gibt es nicht. Nur einen Fluss, den Rio Bobonaza. Fünf bis sieben Stunden dauert die Fahrt im motorisierten Einbaum aus der nächsten Stadt nach Sarayaku, je nach Wasserstand.
Daran, dass das Dorf immer noch so unberührt ist, hat Heriberto Gualinga großen Anteil. Am Tag zuvor hatte er sich nahe der Provinzstadt Puyo in seinen Einbaum geschwungen und war mit dem Reporter in Richtung Sarayaku aufgebrochen. Als sich auf den letzten Kilometern die Dunkelheit wie eine schwarze Decke über den Rio Bobonaza senkte, schaltete Gualinga den Motor ab. Er begann, nach Gehör zu steuern. Er lauschte auf Stromschnellen, versuchte Felsen auszumachen. Bis er fragte: „Hast du ein i-Phone dabei? Die haben gute Taschenlampen.“

Einbaum und iPhone! Heriberto Gualinga muss darüber lachen, als er am nächsten Morgen in seiner Hütte sitzt. Der 37-Jährige trägt seine Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, kleidet sich in Jeans und T-Shirt. Er hat einen leichten Bauchansatz und sagt: „zu viel Affenfleisch“. Über einer Feuerstelle räuchern Fische, die ihm ein Nachbar mitgebracht hat, dessen Fang zu üppig für den Eigenbedarf ausfiel. In Heriberto Gualinga kommen die beiden Wirklichkeiten Sarayakus zusammen: das Archaische mit der Moderne. Denn Gualinga ist der Filmemacher von Sarayaku. Seine Dokumentationen sind auf Festivals rund um die Welt zu sehen gewesen, er hat einen Preis gewonnen und spricht an US-Universitäten über „Indigene Kommunikation“.

Seine Filme waren es auch, die den Kampf Sarayakus in Ecuador bekannt machten. Und dann im Rest der Welt. „Die Nachkommen des Jaguars“ heißt etwa eine von Gualingas Dokumentationen, die bei YouTube zu sehen ist. „Ohne die Öffentlichkeit wären wir chancenlos gewesen“, sagt Gualinga.

Er fragt: zweites Frühstück? Und schöpft schon aus einem Tonkrug eine sämige weiße Flüssigkeit. Es ist Chicha, eins der ältesten Getränke Südamerikas. Es wird aus Maniokwurzeln hergestellt, die von Frauen zerstampft, zerkaut und ausgespuckt werden. Die Masse wird in einen Tonkrug gegeben, den man mit Wasser auffüllt und verschließt. Die Flüssigkeit beginnt zu fermentieren, hat meist einen geringen Alkoholgrad. Nach der dritten Runde Chicha lehnt Gualinga sich zurück und beginnt zu erzählen. Die Geschichte, die dann folgt, handelt von einem Krieg, der noch nicht vorbei ist.

Es begann im Jahr 2002, als eines Tages die Arbeiter des argentinischen Ölkonzerns CGC mit Hubschraubern am Ufer des Rio Bobonaza abgesetzt wurden. Die Regierung hatte der Firma die Lizenz zur Ausbeutung der Ölfelder in Sarayaku erteilt. Aber die Indios wussten von nichts. „Wir haben sie umringt, ihnen gesagt, dass sie nicht willkommen sind. Dass dies unser Land ist“, erinnert sich Gualinga.

Etwas später überfielen dann Schlägertrupps das Dorf. In den ecuadorianischen Medien wurde Sarayaku als rückständig bezeichnet, schließlich bringe das Öl Entwicklung, Arbeitsplätze, Wohlstand. Doch Gualinga und die anderen überzeugte das nicht. Sie kannten den Fall Lago Agrio: 400 Kilometer nördlich von Sarayaku hatte Texaco 30 Jahre lang Öl gefördert, und als der Konzern 1992 abzog waren Boden und Gewässer verseucht, bis heute ist die Krebsrate in der Region enorm. Auch in Lago Agrio klagten die Bewohner, und 2011 verurteilte ein Gericht die Texaco-Mutter Chevron zu einer Rekordstrafe von 9,5 Milliarden Dollar. Aber Chevron weigert sich bis heute, die Summe zu zahlen und schiebt die Schuld für die Verseuchung auf die ecuadorianische Firma, die das Fördergebiet übernahm. „Wir waren gewarnt“, sagt Gualinga.

Nun sollte der Fortschritt den uneinsichtigen Kwichas mit Gewalt gebracht werden. Sie erhielten Morddrohungen, man brannte ihr Land nieder, wollte sie mit Geld gegeneinander ausspielen. Einmal versuchten Ölarbeiter, einige Indio-Mädchen zu vergewaltigen, die sie im Wald überrascht hatten.
Daraufhin gingen Heriberto Gualinga und die anderen mit Macheten auf Patrouille. Mehrfach setzten sie Ölarbeiter fest, die Dynamitstangen vergruben, um Sprengungen durchzuführen, die zur Lokalisierung der Ölfelder nötig sind. Die Regierung reagierte, indem sie Soldaten schickte, um die Ölarbeiter zu schützen. Es war der Moment, als auch Heriberto Gualinga zur Waffe griff: seine Kamera. Der Film, den er drehte, brachte viele Ecuadorianer auf die Seite der Kwichas. „Ich begriff, welche Macht die Medien haben“, sagt er.

Als der Interamerikanische Gerichtshof Sarayaku schließlich Recht gab, hatte das Dorf Unterstützer auf der ganzen Welt. Der Konflikt wurde damals mit der Zahlung der 1,3 Millionen Dollar Schadensersatz vorläufig beendet. Und ein neues Kapitel in der Geschichte begann.

Denn was machen 1500 Indios mit 1,3 Millionen Dollar? „Eine Bank gründen“, lautete Rolando Santis Antwort. Er ist Manager bei der Solidarbank Sarayaku, dem ersten indigenen Geldinstitut Ecuadors. Untergebracht ist sie in einer unscheinbaren Hütte auf Stelzen am Dorfplatz. Santi sitzt darin vor einem Laptop ohne Internetverbindung. „Maximaler Kredit 500 Dollar“, sagt er, „Zinssatz ein Prozent. Viele Kunden wollten Fischteiche anlegen, andere Gärten.

Santi, in Jeans und Polohemd, geht in einen Nebenraum. Dort steht der Banksafe, 80.000 Dollar liegen darin. Aber Angst vor Überfällen hat Santi nicht. Erstens gebe es in Sarayaku keine Diebe. Und zweitens: Wohin sollten die fliehen?

Die Solidarbank wurde 2009 mit 300.000 Dollar Grundkapital gegründet, ihr Ziel ist die nachhaltige Entwicklung Sarayakus. Die Idee mit der Bank sei von den Frauen gekommen, erinnert sich Santi. Sie seien der Meinung gewesen, dass zu viel Geld in privaten Händen schädlich sei. Das findet auch Manager Santi. Es verändere die Beziehung unter den Menschen, sie würden misstrauischer.

Mit weiteren 600 000 Dollar aus der Entschädigungszahlung kauften sich die Kwichas zwei kleine Propellerflugzeuge der Marke Cessna. Sie begründeten die Flotte von Air Sarayaku, der ersten Indio-Airline der Welt. Sie fliegt heute 400 Dschungeldörfer an, und wie bei der Bank herrscht auch hier das Solidaritätsprinzip. Die meisten Passagiere sind Opfer von Schlangenbissen, die rasch ins Krankenhaus müssen.

Heriberto Gualinga steht am Dorfplatz, schaut auf das Alltagstreiben. Der schwarze Fußballtrainer, den er an der Pazifikküste angeheuert hat, um das Lokalteam auf Vordermann zu bringen, pfeift zum Trainingsbeginn. In einer Hütte wird Kampfsport praktiziert. „15 Liegestütze“, befiehlt der Meister. Ein paar Jungs laufen zum Haus mit dem Wifi-Zugang. Der Internetzugang ist auf eine Stunde pro Person und Tag begrenzt. Am Fluss tragen derweil zwei Dutzend Männer Holzstämme auf ihren Schultern zur Hütte eines Nachbarn. Sie verrichten die Minga, die traditionelle Gemeinschaftsarbeit.

Dafür, dass es in Sarayaku so idylisch bleibt, werden die Bewohner auch in Zukunft kämpfen müssen. Denn für den ecuadorianischen Staat sind die Einnahmen aus dem Öl-Export enorm wichtig, und er scheint noch immer auf die Ölfelder unter Sarayaku zu spekulieren. Dies mag auch der Grund sein, warum die Regierung Teile des Urteils des Internationalen Gerichtshofs bis heute nicht umsetzt? So hat sie 1,4 Tonnen Dynamit, die von der CGC in Sarayaku vergraben wurden, immer noch nicht beseitigt. Hinzu kommt die neuerliche Verletzung der Gemeindegrenzen durch Ölfirmen aus benachbarten Konzessionsgebieten.

Anderswo in Ecuador ist der Kampf bereits entschieden. Gegen die Indios und den Amazonaswald! 2012 scheiterte ein Vorschlag der Regierung Ecuadors, den artenreichen Nationalpark Yasuní zu schützen, wenn die internationale Gemeinschaft einen Ausgleich für das Öl zahle, das dort im Boden liegt. Es kamen nicht genügend Unterstützer zusammen. Danach gab Quito das Amazonasbecken praktisch zur Ausbeutung frei. Pipelines verlaufen heute über Tausende Kilometer durch den Dschungel, auf Stichstraßen dröhnen Transporter durch den Wald, unterwegs zu Bohrlöchern, die an ihren Gasfackeln weithin zu erkennen sind.

Am Dorfplatz von Sarayaku ist plötzlich ein Brummen zu hören, es kommt vom Himmel. Eine Propellermaschine nähert sich, fliegt einen Halbkreis, setzt dann auf der Landepiste aus Gras auf. Es ist eine der beiden Cessnas von Air Sarayaku. 30 Minuten dauert der Flug zurück zum kleinen Flughafen der Provinzstadt Puyo. Es ist eine Reise, bei der man zunächst der majestätischen Größe des Urwalds gewahr wird, der sich in alle Richtungen bis zum Horizont dehnt. Doch umso weiter man fliegt, desto mehr Rodungen sieht man, Rinderweiden, Hühnerfarmen. Und am Flughafen in Puyo wird in einem Hangar gerade ein riesiger Industrie-Hubschrauber montiert. Mit ihm werden die Pipelines in den Dschungel transportiert.

Es gibt eine alte Prophezeiung. Sie ist so alt, dass niemand in Sarayaku mehr weiß, woher sie stammt. Heriberto Gualinga glaubt, dass sie von den ersten Schamanen sei, die vor Urzeiten den Rio Bobonaza befuhren. Sarayaku, so heißt es in der Prophezeiung, werde überleben, wenn die Katastrophe komme. Heriberto Gualinga glaubt, dass es bald soweit ist.

– Die Recherche wurde unterstützt vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.