Rumänien: Die Brüder und das Gold

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Rumänien: Die Brüder und das Gold

Andrei Gruber umkrampft sein Bierglas. Der 27-Jährige sitzt in einer Kneipe am Dorfplatz, die langen Haare trägt er zum Pferdeschwanz gebunden, sein Vollbart ist leicht fransig. Unter Andreis Blaumann erkennt man einen Pulli der Rockgruppe Bon Jovi. Stumm beobachtet er wie sein älterer Bruder Christian einen Bus ins neun Stunden entfernte Bukarest besteigt.

(Foto: René Zieger)

Christian erscheint wie das brave Gegenteil zum wilden Andrei. Er trägt ein gebügeltes Hemd, Jeans und Turnschuhe, seine kurzen Haare sitzen akkurat, er schielt leicht. Nun fährt er im Bus in die rumänische Hauptstadt, wo er mit Hunderten anderer Männer für die Genehmigung der Goldmine protestieren solll, gegen die sein Bruder Andrei seit Jahren verbissen kämpft. Die Brüder würdigen sich keines Blickes, und als Christian in der nächsten Nacht aus Bukarest zurückkehrt, wird er in das gemeinsame Haus schleichen und lange in den Tag hineinschlafen. „Sie haben mich gezwungen, mitzufahren“, rechtfertigt er sich – offenbar peinlich berührt.

„Man kann nicht in zwei Booten zugleich sitzen“, sagt Andrei. „Man hat nur einen Hintern.“

Viel mehr haben die Gruber-Brüder sich nicht mehr zu sagen. Der Streit um das Gold von Rosia Montana hat sie entzweit. So wie er ihr Dorf und ein ganzes Land zerrissen hat. Soll das Gold geborgen werden oder nicht? Und welchen Preis sind wie bereit, dafür zu zahlen? Das fragen sich die Rumänen nun schon seit 15 Jahren. Antworten haben sie bis heute nicht gefunden.

Rosia Montana liegt idyllisch auf 800 Metern, am Ende eines Tals in den rumänischen Westkarpaten. Es ist eine der grünsten und urigsten Landschaften Europas. Und zugleich eine der kaputtesten. Man fährt stundenlang durch dunkelrauschende Laubwälder, vorbei an Imkerkästen, Gemüseäckern und endlosen Schafweiden. Dazwischen ragen die Ruinen ehemaliger Industriebetriebe auf, die in der Ceausescu-Ära den Boden, die Flüsse und die Menschen vergifteten. Dann geht es in ein Seitental und nach einem längeren Anstieg erreicht man schließlich das Haus der Gruber-Brüder an einem sonnenbeschienenen Hang kurz vor dem Dorfkern von Rosia Montana.

Der Bau ist grau verputzt, geduckt, nach außen hin abweisend. Man geht durch einen etwas unaufgeräumten Garten, Andrei Gruber wartet in der dunklen Küche. Vor ihm steht ein Laptop, er steckt sich eine Filterzigarette an. Etwas unsicher blinzelt er in die Runde, er spricht kein Englisch, und seine Freundin Ani muss für ihn übersetzen. Er sagt: „Der Konflikt hat aus mir gemacht, was ich heute bin.“

Andrei war zwölf als die Manager der Rosia Montana Gold Corporation (RMGC) 1997 mit ihren Geländewagen in sein Heimatdorf einfuhren. Damals hatte Andrei gerade heimlich begonnen, die uralten Minenschächte zu erkunden, die es rund um Rosia Montana gibt. Schon die Römer hatten hier im 2. Jahrhundert die Goldadern ausgebeutet, später suchten die Habsburger und kleinere Familienunternehmen nach dem Edelmetall. Auch Andreis Familie war Ende des 19. Jahrhunderts wegen des Goldes nach Rosia Montana gekommen. Die Erkundung der Minenschächte war für ihn die Fortsetzung der Familientradition, und irgendwann ging er selbst mit Hammer, Meißel und Grubenlampe seines Vaters los und bearbeitete die Felsen. „Mein Dorf, meine Berge, meine Heimat“, sagt Andrei.

Nun aber schlugen die Manager der RMGC vor, in Rosia Montana die größte Goldmine Europas zu errichten. Ihre Bohrungen ergaben, dass in den vier, das Dorf umgebenden Bergen noch 300 Tonnen Gold und 1600 Tonnen Silber lagerten. Gemessen an heutigen Edelmetallpreisen erbrächten sie rund 17 Milliarden Dollar. Zuvor, so der Plan, müsste man die Berge komplett wegsprengen, sie in Löcher verwandeln. Das sporadisch vorkommende Edelmetall – 1,5 Gramm pro Tonne Erde – würde man mit Zyanid aus dem Erdreich lösen und die entstehende Giftschlacke ins Nachbartal kippen. Dieses würde mit einem 185 Meter hohen Damm gesichert. Vorher müssten noch 2000 Menschen umgesiedelt werden, deren Land man bräuchte. Aber man würde Hunderte Jobs schaffen, so das Versprechen der RMGC. Man würde Straßen bauen, den Dorfkern restaurieren, die Landschaft renaturieren, die Flüsse säubern und den Staat mit Steuern in Milliardenhöhe beglücken. Eine von Armut und Arbeitslosigkeit betroffene Region hätte wieder eine Chance.

Die eine Hälfte der Bewohner Rosia Montanas ergriff die Chance oder was sie dafür hielt. Viele verkauften ihre Wohnungen und Grundstücke für bis zu 150000 Dollar. Die andere Hälfte, unter ihnen Andrei Gruber, sagte: „Salvaţi Roşia Montană!“ – Rettet Rosia Montana! Rund 1000 Familien schlossen sich in der Widerstandsgruppe Alburnus Maior zusammen und entschieden: Unser Land kriegt die RMGC nicht. Als wichtigste Waffe erwiesen sich die Gerichte. Alburnus Maior begann, den Goldkonzern zu verklagen. Oft erfolgreich. Zuletzt wurde im April der wichtige Bebauungsplan der Firma wegen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung im Gemeinderat kassiert. Endgültig.

Die Regierung in Bukarest zögert derweil eine Entscheidung über die Mine hinaus. Die seit Mai regierenden Sozialdemokraten wollen alles „noch einmal ganz genau prüfen“. Und die RMGC? Hat sich in Rosia Montana eingerichtet. Sie schafft Fakten und tut so, als ob die Mine morgen genehmigt würde.

„Es war eine intuitive Entscheidung gegen die Mine“, sagt Andrei Gruber „manchmal spürt man, dass etwas falsch ist“. Er trat Alburnus Maior bei, als er 18 Jahre alt war. Kurze Zeit später seien in seinem Haus oft der Strom und das Telefon aus unerklärlichen Gründen ausgefallen, erinnert er sich. Heute wendet die RMGC solche aggressiven Methoden nicht mehr an. Dennoch würden Informationen über ihn gesammelt, sagt Andrei. Wie bestellt stehen am nächsten Tag zwei Polizisten vor Andreis Tür und fragen, wer der ausländische Besuch sei.

Das Gruber-Haus erhebt sich nur einen Meter neben der Straße, auf der die RMGC einmal 70000 Tonnen Abraum täglich transportieren möchte. Um diese verbreitern zu können, würde die Firma das Grundstück gerne kaufen. „Die Unterhändler der RMGC haben mich gefragt, ob ich kein Auto haben wolle und schöne Klamotten“, berichtet Andrei. Er habe nur gelacht. In einem Trakt seines Hauses hat Andrei eine Herberge eingerichtet, von deren Einnahmen er und Ani dank des Protesttourismus im Sommer gut leben können. Dann kommen Jugendliche aus den Städten und tanzen barfuss auf dem Dorfplatz. Andrei verlegt gerade Estrich in einem der Zimmer. Dabei helfen ihm einige Arbeitslose aus den Plattenbauten gegenüber. Andreis Bruder hilft nicht mit. Er arbeitet für den Feind.

Seit sechs Jahren steht Christian Gruber auf der Gehaltsliste der RMGC. Am Nachmittag wartet der 28-Jährige im Informationsbüro am Dorfplatz auf einen Anruf. An den Wänden hängen Schautafeln, auf denen zu sehen ist, wie die Landschaft in den 18 Jahren des Minenbetriebs aufgerissen, zugeschüttet und schließlich wiederbegrünt werden soll. Hostessen reichen Kaffee und drücken einem die kostenlose Propagandazeitung der RMGC in die Hand, in der die Minengegner als weltfremd diffamiert werden. Christian ist verantwortlich für die Software in den zwei RMGC-Büros in Rosia Montana und wird gerufen, wenn Programme abstürzen oder Passwörter eingerichtet werden müssen. Oft aber langweilt er sich, weil es nichts zu tun gibt.

Als Christian am Abend nach Hause kommt, wendet Andrei hinter dem Haus gerade einige Stücke Rindfleisch auf dem Grill. Dana stößt dazu. Christians Freundin betreut Gäste im kleinen Heimatmuseum, das die RMGC am Dorfplatz eingerichtet hat. So sitzen die unterschiedlichen Brüder mit ihren unterschiedlichen Freundinnen im letzten Sonnenlicht, kauen stoisch Fleisch, trinken Bier und sagen kein Wort.
Erst nach einigen Schlucken meint Christian, dass er seinen Job eigentlich hasse und das Minenprojekt verabscheue und bei der RMGC sowieso keiner genau wüsste, wie man eine Mine betreibe. Außerdem fühle er sich unterfordert und werde bald einen Job in der 130 Kilometer entfernten Studentenstadt Cluj-Napoca annehmen. „Das ganze hier ist ein großer Scheiß!“

Andrei sagt nichts. Schon oft hat Christian angekündigt, dass er die RMGC verlassen werde und hat es dann doch nicht getan. „Man muss Konsequenzen aus seinen Überzeugungen ziehen“, meint Andrei. Er könnte auch sagen: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Christian erwidert: „Aber der Mensch muss doch von etwas leben.“

So wie Christian Gruber geht es hier vielen. Sie mögen das Minenprojekt nicht, aber welche Wahl haben sie in einer Region mit 80 Prozent Arbeitslosigkeit?

Die RMGC warb Christian Gruber noch während seines Informatikstudiums an. Er verdient heute rund 350 Euro im Monat – das ist ein Durchschnittslohn in Rumänien. In den abgelegenen Westkarpaten aber ist es viel Geld. Die Region wurde hart getroffen, als die Chemiebetriebe in den Tälern dicht machten. Aus den Fenstern der Plattenbauten blasen nun die ehemaligen Arbeiter resigniert den Rauch ihrer Zigaretten. Viele überleben nur dank ihrer Gemüsegärten. Die Kleinbauern der Gegend verbrauchen fast alles, was sie produzieren, selbst. Mehr als ein paar Kühe hat hier keiner. Wenn man in die Stadt will, muss man trampen. Und wer zum Arzt muss, braucht zunächst einmal Geld. Christian Gruber zeigt auf sein Knie: „Ohne mein Gehalt hätte ich den Kreuzbandriss nicht operieren lassen können. Ein Foul beim Fußball.“

Man kann also ermessen, was es für die Region bedeutet, dass die RMGC in Rosia Montana fast 500 Menschen Arbeit gibt. Allein 2011 habe man 3550 Jobanfragen erhalten, heißt es aus dem Unternehmen. Die meisten Beschäftigten der RMGC sind ehemalige Minenarbeiter. Sie waren bis 2006 in der unprofitablen staatlichen Goldmine oberhalb von Rosia Montana angestellt, von der heute noch eine mondlandschaftsgleiche Grube existiert. Cadmium, Arsen, Zink und Eisen werden von hier in die Bäche der Gegend gespült, die gelbrötlich ins Tal plätschern. Nun helfen die Ex-Kumpel in einer Pilotanlage der RMGC zur Wasserfiltrierung. Andere restaurieren Häuser aus der k. u. k. Ära, die inmitten der vier Minengruben als Touristenattraktion erhalten bleiben sollen. Auf dem ehemaligen Rathaus zimmern gerade sechs Bauarbeiter einen neuen Dachstuhl, ein Hotel ist hier geplant. Die RMGC wirkt stellenweise eher wie ein Wohlfahrtsverein als wie ein Minenkonzern.

Andrei Gruber winkt ab: „Pure Show. Propaganda!“ Seine Gruppe Alburnus Maior hat ein Poster drucken lassen, das in einem der Dorfläden hängt. Darauf glänzt golden vor schwarzem Hintergrund das Projektil einer Kalaschnikow. „Jeder Rumäne wird ein Stück Gold aus Rosia Montana erhalten“, steht in großen Lettern darüber.

Wenn man fragt, wovor die Rumänen bei dem Minenprojekt am meisten Angst haben, dann lautet die Antwort meistens: das Zyanid. Mit der hochtoxischen Chemikalie will die RMGC das Gold aus dem Erdreich lösen und die entstehenden 215 Millionen Tonnen Giftschlacke ins benachbarte Corna-Tal kippen. Dieses soll mit einem Damm gesichert werden, der etwa so hoch wäre wie das Park Inn Hotel am Berliner Alexanderplatz. „Die Wahrscheinlichkeit, dass der Damm bricht ist sehr niedrig (eins in einer Millionen Jahre)“, schreibt die RMGC in einem Presseheft. Doch viele Rumänen denken bei Zyanid zunächst einmal an Baia Mare. Bei dem Ort barst im Jahr 2000 ein kleineres Zyanidauffangbecken und 100.000 Kubikmeter verseuchtes Wasser flossen in die ungarische Theiß und in die Donau. Millionen von Fische verendeten, die Trinkwasserversorgung von Zehntausenden Menschen war gefährdet. Das Unglück gilt nach Tschernobyl als die zweitgrößte Umweltkatastrophe Europas. „Cyanide kills“, steht auf einem Aufkleber auf Andrei Grubers Kühlschrank. Er sagt: „Wir lassen uns nicht belügen.“

Die Antwort der RMGC auf Angst und Misstrauen ist eine Kampagne, bei der Geld keine Rolle mehr zu spielen scheint. Gold gilt seit der Finanzkrise als sichere Anlage gilt: Sein Preis ist in den letzten zwölf Jahren von rund 300 Dollar pro Feinunze (31 Gramm) auf derzeit etwa 1550 Dollar gestiegen. Und so mischen nun auch aggressive Investoren in Rumänien mit. Die RMGC gehört zu 80 Prozent dem jungen kanadischen Unternehmen Gabriel Resources, das noch nie eine Mine betrieben hat. Mehr als zwei Drittel von dessen Aktien werden heute von den US-Investmentfonds Paulson & Co, Baupost Group, Electrum Strategies sowie von dem israelischen Diamantenmilliardär Benny Steinmetz und dem US-Minenriesen Newmont Mining gehalten. Mit ihrem Engagement begann etwas, das als Blaupause für den neuen Umgang von Konzernen mit kritischen Öffentlichkeiten gelten kann. Man könnte auch sagen, die RMGC, die am Anfang ihren Gegnern noch die Telefonkabel kappte, verbesserte ihre soft skills.

Catalin Hosu wartet vor dem Eingang eines Minenschachts aus dem 2. Jahrhundert, als die Römer hier mit Hammer und Meißel sieben Kilometer Minenschächte ins Gestein schlugen. Sie fanden 500 Tonnen Gold – das in Rom einen Bauboom auslöste. Hosu steckt in einem grünen Overall, trägt einen Vollbart und wirft die Stirn in Falten. Er saugt an einer Zigarette und sagt: „Wir sind unseren Kritikern sehr dankbar. Sie haben uns auf die Schwachstellen des Projekts hingewiesen.“ Dann knipst der PR-Chef der RMGC seine Grubenlampe an und führt in den Schacht, dessen archäologische Untersuchung die RMGC bezahlt. Ein halbes Dutzend Archäologen und 20 Hilfskräfte graben hier in zwei Schichten. Nach 400 Metern durch den kalten, nassen Gang treffen wir auf einen französischen Wissenschaftler, der ganz außer sich ist. Er hat gerade eine Archimedische Wasserschraube im Schlamm entdeckt. Die zwei Meter große Holzkonstruktion wurde vermutlich von den Römern zur Entwässerung benutzt. Die RMGC hat versprochen, den Schacht als Touristenattraktion zu erhalten.

„Wir tun alles, um zu zeigen, dass Rosia Montana uns am Herzen liegt“, sagt Hosu. Da hat der 40-Jährige nicht Unrecht. Die RMGC sponsert regionale Fußball- und Rugbyvereine (Slogan: „Ihr könnt ein goldenes Team sein!“), baut Stadien und Tennisplätze. Sie veranstaltet einen jährlichen Minenarbeitertag und Archäologiesymposien, unterhält außerdem drei NGOs als Gegengewicht zu Alburnus Maior. In Rosia Montana hat sie eine günstige Kantine eingerichtet und in Bukarester Hotels veranstaltet sie Lobby-Kongresse. Allein 25 Millionen Dollar hat sie für Fernsehwerbung und Anzeigen ausgegeben. Das hat dazu geführt, dass kritische Beiträge über das Minenprojekt aus den rumänischen Medien so gut wie verschwunden sind. Für die Führungskräfte mehrerer Medien veranstaltete die RMGC sogar eine Reise nach Neuseeland.

Insgesamt hat die RMGC so nach Angaben von Jonathan Henry, dem CEO von Gabriel Resources, fast 550 Millionen Dollar ausgegeben, ohne ein einziges Gramm Gold zu fördern. Aber die Strategie ist klar: Die Goldmine soll als alternativlos für Rosia Montana erscheinen. Ohne sie hätten Menschen wie Christian Gruber keine Zukunft. Hosu präsentiert triumphierend einige Zahlen: Man würde 900 Jobs während der 16-jährigen Ausbeutungsphase schaffen. Danach würde man neun Jahre lang aufräumen. Rund zwei Milliarden Dollar würde man investieren, das Projekt sei durchdacht und umweltfreundlich.

Und die Zerstörung der Landschaft? – Minimal.
Und das Zyanid? – Kommt auch in Kaffee vor.
Umsiedler? – Kriegen neue Häuser.
Und diejenigen, die partout nicht gehen wollen? – Das Problem wird sich erledigen.

Gheorghe Vasinca ist kein Problem mehr. Vor zwei Jahren hat er das Angebot der RMGC angenommen und ist fortgegangen. Er wohnt jetzt in einer Neubausiedlung am Rande der Kreisstadt Alba Iulia, anderthalb Autostunden von Rosia Montana entfernt. Die RMGC hat hier 125 orangefarbene Häuser auf die Wiese gesetzt, fast alle sind bezogen. Vasincas kantiges Gesicht ist von langen Falten durchfurcht, seine Haltung etwas krumm, ihm fehlen Zähne. Sein neues Haus sieht der 74-Jährige als großes Geschenk: „Heizung, Keller, asphaltierte Straßen, toll.“

Den Hauspreis von 43.000 Euro hat die RMGC von der Entschädigung abgezogen, die sie für Vasincas altes Grundstück hinblätterte. Der ehemalige Bergarbeiter besaß 50.000 Quadratmeter im Corna-Tal, das die RMGC für ihr Zyanidauffangbecken braucht. Nun hat Vasinca 900 Quadratmeter, und sein altes Haus haben die Bulldozer platt gemacht. Morgens kümmert er sich um Tomaten, Paprika und Bohnen, die hinter dem Haus wachsen. Den Rest des Tages läuft der geschiedene Mann mit Strohhut und Plastiksandalen durch die Siedlung und wartet auf seine Tochter, die in der Stadt arbeitet. „Es ist hier so sauber wie in einem amerikanischen Vorort“, sagt Vasinca. Aber das Leben in den Bergen sei nichts für alte Menschen. „Ich brauche Leute um mich herum, keine Kühe. Außerdem reicht das Geld ja auch noch, um meine Beerdigung zu bezahlen.“

Rosia Montana stirbt derweil aus. Die RMGC hat bereits 85 Prozent der für die Mine notwendigen Grundstücke erworben. Von einstmals 4000 Bewohnern lebt noch weniger als die Hälfte hier und die Widerstandsgruppe Alburnus Maior repräsentiert nur noch 60 Familien. Die Häuser, die die RMGC erwarb, hat sie sofort einebnen lassen. So kommt es, dass das Haus der Gruber-Brüder heute von Brachen umgeben ist. „Sie wollen uns isolieren“, sagt Andrei. Daher sei er sehr erleichtert gewesen, als das rumänische Parlament Ende letzten Jahres ein Gesetz ablehnte, das Enteignungen zugunsten von Tagebauen legalisiert hätte. Das Gesetz erinnerte viele Rumänen zu sehr an die Ceausescu-Zeit, als ganze Dörfer zwangsumgesiedelt wurden. So arbeitet die RMGC jetzt eben um die Grundstücke herum, die sie nicht bekommen kann. „Ich habe Angst, dass mein Haus irgendwann inmitten einer Mine steht“, sagt Andrei Gruber. „Der Druck auf die Uneinsichtigen wird irgendwann zu groß werden“, sagt Catalin Hosu.

Und manchmal gibt auch der zurückhaltende Christian Gruber zu, dass er geschockt ist, darüber, was aus seiner Heimat geworden ist. An einem Sonntagabend kehrt er von einer Wanderung zurück und nimmt die Abkürzung über den alten katholischen Friedhof. Er stoppt fassungslos. Auf das 70 Jahre alte Grab seines Urgroßvater ist eine Tanne gestürzt. Jemand hat sie einfach gefällt. Christian umklammert die eingedrückten Gitter des Metallzauns, der das Grab einfasst: „Jemand muss dafür bezahlen!“ Aber dann wird er doch nichts unternehmen. Vielleicht weil er nicht mehr weiß, was das bringen soll.

Der Vater der Gruber-Brüder hieß Alexandru. Er wurde 1955 in Rosia Montana geboren, seine Familie war im 19. Jahrhundert aus Ungarn eingewandert. Die Grubers hatten eine Konzession zum Goldschürfen erworben, wie sie viele Familien hier besaßen. Doch 1948 verboten die Kommunisten den Privatbesitz von Gold, enteigneten die Grubers und zerstörten ihre Goldmühle. Alexandru Gruber arbeitete fast sein ganzes Leben im staatlichen Goldtagebau und starb schwerkrank mit 47 Jahren. Die Mutter der Gruber-Brüder, Mirela, verwandt den Kummer nicht und ging fort. Sie arbeitet heute als Putzfrau in einem Hotel in Bremerhaven und ruft täglich ihre Söhne an, ob das Dorf noch stehe. Christian sagt dann, dass niemand außer Andrei mehr sein Haus streiche oder die Gärten bestelle.

Doch das stimmt nicht ganz. Eugene David steht in der Scheune neben seinem Haus und kippt vergorene Pflaumen in einen großen Kessel, unter dem ein Holzfeuer lodert. „Tuică“, sagt David, „doppelte Destillation“. Davids Pflaumenschnaps gehört zum klarsten der Gegend, außerdem besitzt der 47-Jährige einen der größten Höfe in Rosia Montana. Auf die Frage, wo sein Land liege, zeigt er in alle vier Himmelsrichtungen. Und er denkt nicht daran, es der RMGC zu überlassen, die ihm 200000 Euro dafür geboten haben soll.

So ist David Präsident von Alburnus Maior geworden. Und zum Vorbild für Andrei Gruber. Früher hat David selbst als Ingenieur im nahen Kupfertagebau gearbeitet. Heute widmet er sich der Landwirtschaft. Der aufgeschossene Mann mit dem jungenhaften Kichern besitzt Kühe, Hühner und Schweine. Mit dem Pferdepflug durchquert er seine Kartoffeläcker, seine Frau macht Käse und kocht Gemüse ein. Außerdem ist David das Aushängeschild des rumänischen Widerstands. Er spricht auf Demonstrationen in Bukarest, ist bei Journalisten wegen seiner klaren, witzigen Sprache beliebt und hat dem konservativen rumänischen Präsidenten ins Gesicht gesagt, dass dieser die Armee schicken müsse, um ihn zu vertreiben. „Er hat mich Bolschewik geschimpft“, erzählt David belustigt.

Die RMGC versucht, David unterdessen als Eigenbrötler zu porträtieren, als einen dem die anderen „am Arsch vorbeigehen“, wie PR-Mann Hosu sagt. David erwidert: „Mich kann man nicht erpressen, ich bin autonom.“ David will in Rosia Montana Öko-Tourismus inklusive Besichtigung der römischen Minenschächte einführen. Er selbst betreibt ein rustikales Hostel im oberen Stock seines Hauses: Ferien auf dem Bauernhof. David verbreitet einen ansteckenden Optimismus: „Zurzeit ist Rosia Montana ausgezogen, aber wir werden es wieder aufbauen, wenn das hier endlich vorbei ist.“

Christian Grubers Pläne, bei der RMGC zu kündigen und bei Amazon in Cluj-Napoca anzufangen, nehmen unterdessen keine richtige Form an. Aber er redet zumindest oft davon. Und Andrei Gruber baut an seinem Haus, empfängt Gäste in seiner Herberge und wartet ab. Seit 15 Jahren schon.