“Brasiliens Forschung ist in Gefahr” – Susan Trumbore

“Brasiliens Forschung ist in Gefahr” – Susan Trumbore

Susan Trumbore, 60, ist Geologin und Geochemikerin. Sie leitet die Forschung an einem Regenwald-Observatorium im Amazonas, dem Amazon Tall Tower Observatory, kurz ATTO. Zudem ist sie Professorin für Erdsystemforschung an der University of California in Irvine und forscht seit 2009 am Max-Planck-Institut für Biochemie in Jena.

Foto: Jsaturno

ZEIT ONLINE: Mitten im Amazonasdschungel steht ein riesiger Turm. 325 Meter hoch überragt er das Blätterdach des Waldes. Wozu ist er da?

Susan Trumbore: Der Turm ist tatsächlich der höchste Südamerikas und das Kernstückes unseres Forschungsprojektes, das ich in Brasilien und hier von Jena aus am Max-Planck-Institut für Biogeochemie koordiniere. Es heißt ATTO – das bedeutet ganz einfach Amazon Tall Tower Observatory. Gemanagt wird das Projekt von der INPA, dem Brasilianischen Institut für Amazonasforschung.

ZEIT ONLINE: Es ist also ein hoher Observierungsturm. Was beobachten Sie?

Trumbore: Wir untersuchen den Austausch von Gasen zwischen dem tropischen Wald und der Atmosphäre. Es gibt auf der Forschungsstation zwei weitere 80 Meter hohe Türme mit Messgeräten, die Wind, Luftfeuchtigkeit, Luftzusammensetzung und Luftpartikel erfassen.

ZEIT ONLINE: Wie ist es, dort oben zu stehen?

Trumbore: Es ist so, als ob man aus einem Flugzeug schauen würde, nur besser, weil man sich nicht bewegt und in Ruhe beobachten kann.

ZEIT ONLINE: Woraus besteht die Forschungsstation sonst?

Trumbore: Es gibt noch eine begehbare Plattform mit Zugang zum Blätterdach. Von dort beobachten wir das Baumwachstum. Zusätzlich erstellen wir Karten von den unterschiedlichen Regenwaldböden, die wir rund um den Turm bis zu dem Fluss finden, über den unsere Boote kommen. In mehreren Containern – sie stehen unten im Dschungel – sind unsere Labors untergebracht. Dort sowie an anderen, mit dem Projekt verbundenen Orten analysieren etwa 100 Menschen die gewonnenen Daten aus dem ATTO-Projekt.

ZEIT ONLINE: In der Schule lernen wie ja bereits: Bäume nehmen Kohlendioxid auf, CO2 also, wandeln es mit Hilfe von Lichtenergie in Zucker um und geben am Ende Sauerstoff ab. Warum ist es so wichtig, den Kreislauf zwischen Luft und Wäldern noch genauer zu kennen?

Trumbore: Wir wollten wissen, wie der intakte Amazonaswald das Klima und die Luftqualität beeinflusst. Und wir waren extrem gespannt darauf, welchen Wirkung wiederum die Atmosphäre auf den Wald und seine Eigenschaft hat, Kohlendioxid, Methan und Stickstoffoxid zu speichern. Denn dazu ist bei Weitem nicht alles bekannt. Die Wälder haben unterschiedliche  Speicherkapazitäten für Treibhausgase. Sie geben auch unterschiedliche Gasgemische wieder ab. Es hängt von den verschiedenen Baumarten, dem Alter des Waldes und der Geologie zusammen.

ZEIT ONLINE: Welche Daten beziehen Sie mit ein, um den Kreislauf im Detail zu verstehen?

Trumbore: Von den Türmen messen wir den Wind, die Luftzusammensetzung, die Luftturbulenzen in verschiedenen Höhen, Aerosole und die Wolkenbildung. Wir schauen uns die Mikroorganismen auf den Blättern und am Boden an. Wir wollen verstehen, wie der Wald auf extremes Klima reagiert, etwa anhaltende Trockenheit und die absehbare Erderwärmung. 

ZEIT ONLINE: Womit wir beim Klimawandel wären. Überall auf der Welt werden durch Waldbrände Treibhausgase freigesetzt, die zuvor in der Biomasse der Pflanzen gespeichert waren. Es brennt zurzeit nicht nur in der Amazonasregion, sondern auch am Polarkreis, in Afrika, Indonesien und an anderen Orten. Haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen am Observationsturm bereits erste Auswirkungen der Feuer im Amazonasbecken feststellen können?

Trumbore: Die Station von ATTO liegt zentral im Amazonasbecken, rund 150 Kilometer von Manaus entfernt. Die meisten der aktuellen Feuer brennen relativ weit weg, weiter im Süden und Westen. Dennoch sehen wir vom Turm aus den Rauch. Und wir registrieren ihn mit unseren Messgeräten, stellen also eine Zunahme von Kohlenmonoxid, Methan und Kohlendioxid in der Luft fest. Wir benutzen dann unsere Daten über den Wind und zum Luftaustausch, um zu sehen, woher der Rauch stammt. Der hohe Turm kann Luft registrieren, die aus Hunderten von Kilometern angeweht wird. Deswegen ist es so wichtig, dass er so weit aufragt. Man deckt ein viel breiteres Spektrum ab. Wir registrieren mit unseren Messgeräten übrigens jedes Jahr eine Rauchzunahme in der Trockenzeit. Als nächstes errechnen wir dann, wie viel Kohlendioxid von diesen Feuern letztendlich freigesetzt wurde. In Verbindung mit früheren Daten können wir dann langfristige Trends zur Feuerentwicklung feststellen. Das heißt auch, dass wir erst mit einiger Verzögerung etwas über die Auswirkungen der aktuellen Feuer auf die Atmosphäre sagen können.

ZEIT ONLINE: Eine andere Methode, die CO2-Emissionen durch Waldbrände zu berechnen, ist das Auswerten von Satellitendaten. Die Satelliten registrieren die Feuerherde anhand der Hitze am Boden. Kommen Sie mit den Messungen der Rauchpartikel zu ähnlichen Ergebnissen?

Trumbore: Unsere Rauchdaten unterscheiden sich von den Satellitendaten, weil wir auch die vielen Feuer registrieren können, die unter dem hohen Blätterdach des Dschungels brennen. Die Satelliten registrieren sie nicht, weil das Blätterdach von oben als kühl erscheint.

ZEIT ONLINE: Wie schätzen Sie die langfristigen Konsequenzen der aktuellen Amazonasbrände ein?

Trumbore: In jedem Fall geht sofort eine Menge Pflanzenmaterial, also Biomasse verloren, in der Treibhausgase gespeichert waren, die nun in die Atmosphäre gelangen. Ob es möglich sein wird, diese Biomasse wiederzugewinnen, hängt vom Bodenmanagement ab. Auch von der Frage, ob der Wald dort intakt oder schon geschädigt war und ob die Fläche bereits für die Landwirtschaft genutzt wurde.

ZEIT ONLINE: Die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar, gleichzeitig steigen die Treibhausgas-Emissionen immer weiter an. Daher wird es auch immer wichtiger, die Wirkungsweise der Wälder und die Folgen von Rodungen und Waldbränden zu kennen. Was konnten Sie im ATTO-Projekt schon herausfinden?

Trumbore: Die Luft über dem zentralen Amazonasbecken ist während der Regenzeit die reinste und beste der Welt. Wir können hier die Interaktion zwischen dem Wald und der Atmosphäre so untersuchen, als ob wir noch in vorindustrieller Zeit wären – also bevor es Kraftwerke, Fabriken, Autoverkehr und industrielle Landwirtschaft gab, die Treibhausgase wie CO2 produzieren und in die Atmosphäre abgeben. Im ATTO-Projekt sehen wir quasi in Reinform, wie ein tropischer Wald in der Lage ist, seine Umwelt zu regulieren und sozusagen andauernd die Bedingungen für seine eigenen Existenz schafft. 

ZEIT ONLINE: Wie macht er Wald das?

Trumbore: Etwa, in dem er einen eigenen Wasserkreislauf durch ständige Verdunstung und Abregnen betreibt. Außerdem aber setzen der Boden und die Vegetation eines Waldes tausende verschiedene organische Gase frei – einige davon verleihen dem Regenwald seine charakteristisches Aroma. Wenn diese Gase in die Atmosphäre aufsteigen, dienen sie dort als sogenannte Kondensationskeime, also Kerne, an denen sich Tropfen und somit Wolken bilden. So ein Regenwald recycelt also nicht nur den Niederschlag durch Verdunstung in einem andauernden Kreislauf, sondern reguliert auch den Regen, in dem er selbst zur Wolkenbildung über seinem eigenen Blätterdach beiträgt.

ZEIT ONLINE: Welche Erkenntnis Ihrer Arbeit hat Sie bisher am meisten überrascht?

Trumbore: Da gab es eine ganze Reihe. Wir haben etwa Saharastaub auf unserem Turm festgestellt. Solche sehr feinen Schwebepartikel, Aerosole genannt, können große Distanzen überwinden und so können eben auch Teilchen aus Afrikas Wüste bis in den brasilianischen Regenwald wandern. Außerdem haben wir ein besseres Verständnis gewonnen über die starken Nachtwinde, die sich über dem Blätterdach entwickeln. Sie heißen Nocturnal Jets und bringen manchmal sogar Kleinflugzeuge zum Absturz. Was die Dynamik des Waldes angeht, haben wir etwas über die Bedeutung von extremen Fallböen bei Stürmen gelernt. Sie können zahlreiche Bäume entwurzeln, ganze Waldstücke plätten. Solche Stürme kommen zwar nur alle 50 bis 100 Jahre vor, verändern aber die Zusammensetzung des Baumbestands und die Möglichkeit des Waldes, Kohlenstoff zu speichern.

ZEIT ONLINE: Und welche Bedeutung hat der Amazonaswald für das Klima direkt in Brasilien?

Trumbore: Er recycelt wie oben schon erwähnt den meisten Niederschlag, der fällt. Das heißt, das Regenwasser regnet ab, versickert, wird aufgenommen, durch die Baumstämme bis in die Blätter transportiert und verdunstet aus den Baumkronen wieder. Anhand der Analyse von Wasser-Isotopen erforschen wir, wie viel des Niederschlags wieder als Wasserdampf in die Atmosphäre zurück gelangt. 

ZEIT ONLINE: Oft sprechen Meteorologen in Brasilien auch von einem „fliegenden Fluss”. Sie meinen damit, dass die im Amazonasbecken gebildeten Wolken Tausende Kilometer weit wandern können, bevor sie abregnen. So versorgen sie große Teile Südamerikas mit Wasser. Nun besteht die Sorge, dass der Verlust großer Waldflächen – so wie jetzt während der Brände – zu Trockenheit im Süden Brasiliens führt.

Trumbore: Ja, richtig. Wir beobachten das Phänomen schon ganz lokal. So sorgt das Verschwinden der Bäume zur Zunahme trockener Fallwinde und mehr Hitze, was wiederum die Feuergefahr erhöht.

ZEIT ONLINE: Was die Auswirkungen auf das weltweite Klima angeht, spielen ja nicht nur die Treibhausgase eine Rolle bei der globalen Erwärmung. Was sind weitere denkbare Folgen, wenn Regenwald zerstört wird?

Trumbore: Es gibt Modelle, die den Schluss zulassen, dass ab einem Waldverlust von 20 bis 25 Prozent im Amazonas – und dort sind wir fast schon angelangt – das Ökosystem des Amazonasbeckens zusammenbrechen würde. Es könnte sich nicht mehr selbst regulieren, und der größte tropische Wald der Erde würde sich in eine Savanne verwandeln. Aber diese Simulationen sind sehr ungenau, weil es noch zu wenige Daten gibt. Wir verstehen noch nicht richtig, wie der Wald die Luftzusammensetzung und den Lufttransport in der Atmosphäre beeinflusst.

ZEIT ONLINE: Das heißt, viele Szenarien zum Thema Regenwaldzerstörung und Klima sind noch nicht erwiesen und müssen genauer erforscht werden?

Trumbore: Absolut. Aber das gilt ja generell für die Forschung – erst die Summe sehr vieler Erkenntnisse kann da ein Bild zeichnen. Vor allem ist der Amazonaswald nicht die „Lunge der Erde“. Es macht mich verrückt, dass dies immer wiederholt wird. Die Atmosphäre besteht zu 20 Prozent aus Sauerstoff, der sich über Millionen von Jahren in Algen gebildet hat, die in marinen Sedimenten vergraben waren. Die Gesamtmenge des Sauerstoffs, die jedes Jahr durch Photosynthese von Pflanzen an Land und in den Ozeanen hinzu kommt, beträgt 0,02 Prozent der Menge an Sauerstoff in der Atmosphäre. Auch wenn wir alle Pflanzen an Land verbrennen würden, würde uns der Sauerstoff noch lange nicht ausgehen. 

ZEIT ONLINE: Heißt das jetzt, dass die Vernichtung der Wälder gar nicht so schlimm ist, wie es angesichts der Nachrichten von den Bränden im Moment erscheint?

Trumbore: Das wäre ein völliges Missverständnis. Nur ist die Sache mit dem Sauerstoff fürs Klima unerheblich. Das Entscheidende sind die Treibhausgase, etwa Kohlendioxid: Davon gibt es in der Atmosphäre im Verhältnis zu anderen Gasen wenig, nämlich etwa 0,04 Prozent. Wenn wir nun den gesamten Amazonaswald abbrennen würden, würde dieser Wert nach wissenschaftlichen Berechnungen um rund zwölf Prozent ansteigen, also um etwa 54 Teile pro Million (ppm). Das ist sehr viel und würde enorm zur Erderwärmung beitragen. Die Entwaldung hat also ganz sicher langfristige Effekte auf das Klima.

ZEIT ONLINE: Frau Trembore, Sie sind vor Kurzem noch selbst im Amazonasgebiet gewesen. Wie ist die Situation der brasilianischen Wissenschaftler unter der Regierung des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro?

Trumbore: Es ist alles sehr beunruhigend. Brasiliens Regierung hat die Gelder für die Bundesuniversitäten und für wissenschaftliche Einrichtungen drastisch gekürzt. Sie spricht sogar darüber, Graduierten-Stipendien dieses Jahr zu streichen. Es hat mich schockiert, dass die Forschungsergebnisse von international anerkannten Wissenschaftlern einfach in Frage gestellt werden. So zweifelte der Präsident die Daten des brasilianischen Weltrauminstitut (INPE) zur Abholzung, ohne jede Grundlage an. Zusätzlich gibt es zahlreiche NGOs, die wichtige Arbeit machen, weil sie wissenschaftliche Erkenntnisse in handfeste Anwendungen umsetzen und nachhaltige Praktiken zur Nutzung des Amazonaswalds entwickeln. Ihre Arbeit hat Brasilien zu einem globalen Vorbild gemacht. Dies wurde auch ermöglicht durch den Amazonas-Fonds, den Deutschland und Norwegen finanzierten. Nun hat Brasilien das vorläufige Aus des Fonds provoziert. Ich bin wirklich sehr besorgt.

ZEIT ONLINE: Ist auch das Riesenturm-Observatorium – also Ihr ATTO-Projekt – von Kürzungen betroffen?

Trumbore: Noch nicht. Aber wir arbeiten mit dem Institut für Amazonas-Forschung zusammen (INPA), das natürlich nicht immun gegen Eingriffe der Regierung ist. Aber Brasilien hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass es möglich ist, Wirtschaftswachstum mit dem Schutz des Waldes zu vereinen. Es funktioniert insbesondere dann, wenn die Politik sich von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lässt. Nun hat sich die Politik geändert. Brasiliens Forschung ist in Gefahr, langfristig Schaden zu nehmen.  

ZEIT ONLINE: Was bedeutet Ihnen persönlich diese Forschung und auch der Wald, in dem Sie selbst schon gelebt haben?

Trumbore: Der tropische Wald ist einfach majestätisch. Man kann jeden Tag etwas Neues in ihm entdecken. Ich habe das große Privileg, bereits seit den 1980er Jahren im Amazonas zu forschen. In der Zeit habe ich viele Studenten kennengelernt. Viele von ihnen sind heute wichtige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Brasilien. Mein Leben ist durch sie reicher geworden. Es gibt heute so viele Talente, die sich mit dem Amazonaswald befassen. Auch ihr Werk ist in Gefahr, wenn die Unterstützung für Bildung und Wissenschaft weiter abnimmt. ENDE