“Vielfalt sollte sich in den Firmen spiegeln” – Thiago Amparo

Thiago de Souza Amparo, 36, ist Rechtsanwalt und Professor für Recht und Menschenrechte an der renommierten brasilianischen Getulio-Vargas-Stiftung. Er ist eine führende Persönlichkeit in der öffentlichen Debatte über Vielfalt und Integration in Brasilien. Er hat einen Master und einen Doktortitel von der Central European University in Budapest und arbeitet als Kolumnist für die Zeitung „Folha de S. Paulo“. Amparo war 2017 stellvertretender Sekretär für Menschenrechte de und Stadt São Paulo und ist Mitglied der Brasilianischen Juristenallianz für Rassengleichheit. Die WOZ hat mit ihm über Unternehmensvielfalt und Antidiskriminierungsmaßnahmen in der Wirtschaft gesprochen und wie diese zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen können. Was wären die ökonomischen, politischen und sozialen Vorteile dieser Transformation?

Herr Amparo, wenn wir über Vielfalt und Gleichberechtigung in der brasilianischen Geschäftswelt sprechen, in welchem Stadium befinden wir uns bei der Einbeziehung von Schwarzen, Frauen und sexuellen Minderheiten? Ganz am Anfang, auf einem guten Weg oder gehen wir rückwärts?

Es gibt keine gerade Linie. In den größten Unternehmen sind Schwarze und Frauen immer noch in sehr geringem Maße vertreten. Die Räume der Macht in Unternehmen wie in der Politik sind sehr homogen. In der Gesellschaft im Allgemeinen zeigen die Daten über den Zugang zu Bildung eine noch größere und anhaltende Ungleichheit. Was wir befördert haben, ist eine Diskussion über diese Agenden. Ein großer Teil dieser Diskussion wird von schwarzen Menschen selbst geführt, die es in Machtpositionen geschafft haben, sei es in der Universität, in der Politik oder in der Wirtschaft. Es bleibt zu betonen, dass die Mehrheit der Brasilianer schwarz und weiblich ist.

Warum erkennen die brasilianischen Unternehmen dies nur so langsam?

Zum Teil, weil die Diversity-Agenda von außen kommt. Direktoren brasilianischer Unternehmen erzählten mir zum Beispiel, dass sie von internationalen Kunden Folgendes gehört haben: Wenn bei der nächsten Sitzung nur weiße Männer anwesend sind, werden wir uns nach einem anderen Unternehmen als Partner in Brasilien umsehen. Aber der Fortschritt ist langsam. Nicht einmal in Salvador, der schwärzesten Stadt Brasiliens, gibt es mehr schwarze Manager und Unternehmenschefs als in São Paulo. Ein sehr interessanter Fall sind die Banken: In ihnen gibt es eine starke sexuelle und rassische Trennung. Das Problem ist nicht ein Mangel an Vielfalt. Aber in einer zutiefst sexistischen und rassistischen Gesellschaft setzen die Banken weiße Männer als Gesichter des Unternehmens ein, weil sie angeblich mehr finanzielle Glaubwürdigkeit vermitteln. Sie werden nur selten Schwarze in leitenden Positionen oder in der Kundenbetreuung sehen. Schwarze und Frauen arbeiten dort meist im hinteren Teil der Büros.

Wie kann man dieser Angst der Firmen begegnen, Schwarze in exponierte Positionen zu bringen?

Zum Beispiel durch die Schaffung von Verbündeten: Weiße, die zusammen mit einem Schwarzen zu Besprechungen gehen, um deutlich zu machen, dass sich das Unternehmen für Gleichberechtigung einsetzt.

Was empfehlen Sie ganz allgemein Unternehmen, die mehr Integration und Vielfalt anstreben?

Ich schlage positive Maßnahmen vor, das heißt eine Politik, die darauf abzielt, Menschen einzubeziehen, die bisher ausgeschlossen waren. Ich erkläre ihnen, dass der Zweck darin besteht, Vielfalt zu schaffen und damit zu erreichen, dass die Gesellschaft, in der die Firma existiert, im Unternehmen repräsentiert ist. Es muss ein Bekenntnis der Führungskräfte geben, dass sie sich für die Integration einsetzen. Es gibt Standards, die einbezogen werden können, Governance-Modelle und Compliance-Mechanismen. Es müssen Schulungen zum Thema Vielfalt und Integration durchgeführt werden. Und dann führen die Unternehmen Auswahlverfahren für die verschiedenen Gruppen ein. Sie müssen sich überlegen, wie viele Schwarze, wie viele Frauen es in den verschiedenen Hierarchien gibt, und Ziele für die Veränderung dieser Zusammensetzung formulieren. Das heißt: Wie viele Frauen, wie viele Schwarze wollen wir in zwei Jahren an diesen Orten haben. Außerdem muss sie über Antidiskriminierungsmechanismen verfügen, die umgesetzt werden können. Entweder durch einen Ombudsmann oder einen Ausschuss, in dem Menschen Fälle von Diskriminierung vorbringen können. Natürlich gibt es kein Patentrezept, aber das Engagement der Verantwortlichen für die Sache ist von grundlegender Bedeutung. Von alleine wird nichts passieren.

Was halten Sie von Quoten und Auswahlverfahren bei der Auswahl von Bewerbern für eine offene Stelle?

Erstens: Schon die Auswahlkommission muss vielfältig sein. Studien zeigen, dass bei einem paritätischen Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Kommission mehr Frauen ausgewählt werden. Man braucht eine vielfältigere Kommission, um ein vielfältigeres Ergebnis zu erzielen. Eine weitere Maßnahme besteht darin, die freien Stellen an Orten und in Gruppen bekannt zu machen, an denen man normalerweise nicht kommuniziert, also in schwarzen Gruppen in den sozialen Netzwerken beispielsweise. Wichtig ist auch die Ästhetik der Anzeige. Das heißt, welche Personen in diesen Anzeigen zu sehen sind. Wenn man nur weiße Männer darin hat, schließt man automatisch andere aus.

Wie trägt die Eingliederung zu mehr Gewinn und Produktivität bei?

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Eine McKinsey-Studie hat gezeigt, dass die Produktivität dort zunimmt, wo es eine größere ethnische und geschlechtliche Vielfalt gibt. Das Unternehmen „Luiza“ zum Beispiel hat ein Auswahlverfahren für Schwarze, was den Wert der Marke erhöht hat. Die gute Nachricht ist also, dass Vielfalt die Produktivität erhöht. Wenn Sie ein einladendes Umfeld schaffen, haben die Menschen das Gefühl, dass sie zu diesem Unternehmen gehören. Sie engagieren sich mehr, sie sind weniger abwesend, sie haben mehr Ausdauer. Es gibt Studien, die eindeutig einen Rückgang der Fehlzeiten aufgrund der Eingliederung belegen. Bei der Vielfalt geht es aber nicht nur um die Einstellung von Mitarbeitern. Es bedeutet auch die Einbeziehung in Entscheidungen und Professionalisierungsprogramme.

Was ist die schlechte Nachricht?

Die Studien zum Profit – wir nennen sie Business Cases for Diversity – zeigen, dass es schwierig ist, eine Korrelation zwischen Vielfalt und Profit herzustellen. Obwohl klar ist, dass es mehr Innovation, eine bessere Kommunikation mit den Verbrauchern und eine Steigerung des Markenwerts geben wird, werden die Unternehmen nicht sofort von einem Eingliederungsprogramm profitieren. Sie werden nur gewinnen, wenn das Programm dauerhaft und nachhaltig ist. Die Unternehmen müssen wissen, wie sie das Humankapital nutzen können. Wenn Menschen nur einbezogen, aber nicht professionell beteiligt werden, besteht die Tendenz zur Stagnation.

Der derzeitige politische Kontext in Brasilien unter dem ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro zeigt ein Land, das der Eingliederungsagenda sehr verschlossen gegenübersteht. Spiegelt sich dies in der Geschäftswelt wider?

Unternehmen sind Teil der Gesellschaft, in der wir leben. Die brasilianische Gesellschaft ist konservativ und gewalttätig. Dennoch habe ich festgestellt, dass es in großen Unternehmen ein ausdrückliches Engagement gibt, unabhängig vom politischen Kontext. Diese Agenda muss stärker in kleine und mittlere Unternehmen getragen werden.

Warum denken große Unternehmen anders?

Sie haben eine internationalere Ausrichtung und stützen sich auch auf einen internationaleren Kapitalfluss. Sie müssen eine kosmopolitische Sprache sprechen. Aus diesem Grund sind die internationalsten Unternehmen auch die engagiertesten im Kampf gegen den Klimawandel. Sie sind offener für eine Diskussion über die Realität, in der wir leben. Große Unternehmen stellen zunehmend fest, dass sie ohne ein Diversity-Programm viele Talente verloren haben. In Brasilien werden viele Talente vergeudet, all diese begabten und motivierten jungen Menschen aus der Peripherie.

Wie war Ihr eigener Weg?

Heute sind meine Eltern Rechtsanwälte, aber sie waren arm, als ich klein war. Ich wuchs in einer Sozialwohnung am Rande des Großraums São Paulo auf. Meine Mutter hat mit 40 Jahren studiert, mein Vater hat auch spät studiert. Sie gehörten zur unteren Mittelschicht und wurden zur Mittelschicht. Aber sie mussten ihr Geld Monat für Monat zählen. Sie haben fast alles in die Ausbildung ihrer Kinder verwendet, weil sie verstanden, dass Bildung der wichtigste Faktor für soziale Mobilität ist. Ich ging auf eine öffentliche Schule und habe dann die renommierte Katholische Universität (PUC) absolviert. Danach habe ich mit einem Stipendium einen Master und einen Doktortitel gemacht. Meine Ausbildung fand zu einem günstigen Zeitpunkt statt, denn das Land befand sich im wirtschaftlichen Aufschwung, und es gab den ehrlichen Versuch, bessere Bildungschancen für Schwarze zu schaffen.

Reicht das Gesetz aus, um mehr Inklusion zu gewährleisten?

Ja und nein. Die brasilianische Verfassung von 1988 garantiert Gleichheit. Rassismus ist seit 1989 ein Verbrechen, aber das ist nicht der Grund, warum es keinen Rassismus gibt. Neben den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen ist es notwendig, dass diese rechtlichen Marker in die konkrete Politik einfließen. Zum Beispiel in Form eines Grundeinkommens oder Umverteilungsmaßnahmen wie Quoten. Das ist deshalb so wichtig, weil wir sehr viel Geld für die Folgen von Gewalt ausgeben. Milliarden werden für eine völlig unwirksame Drogenpolitik ausgegeben, aber viel zu wenig für Maßnahmen, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen.

Profitiert die Gesellschaft als Ganzes von mehr Gleichheit?

Zweifellos. Und sie ist weiter als die Politik, die wir nicht als repräsentativ für unsere Gesellschaft ansehen können. Das politische System ist dysfunktional und weit davon entfernt, das brasilianische Volk zu vertreten. Der Frauenanteil im Kongress beträgt nur 15 Prozent. Die Macht ist sehr stark in den Führungsetagen der politischen Parteien konzentriert und kaum demokratisiert. Betrachtet man aber die öffentliche Meinung zu den Rechten von Schwarzen, Frauen und LGBT-Personen, so stellt man fest, dass die Zustimmung zu Eingliederungsmaßnahmen zunimmt. Die Unterstützung für eine progressive Sozialpolitik wächst. Die Gesellschaft wird dadurch ein Stück weit humaner.

Sind Sie dafür oder dagegen, ein Foto in Ihren Lebenslauf aufzunehmen?

Ich empfehle den Firmen Folgendes: Wenn Sie als Unternehmer ein Auswahlverfahren speziell für Schwarze durchführen, bitten Sie die Person zusätzlich zum Foto um eine Beschreibung ihres Werdegangs. Schätzen Sie die Geschichten der Menschen! Durch das Erzählen von Geschichten können Sie Menschen mit großem Potenzial kennenlernen, die Erstaunliches geleistet haben. Das sagt viel mehr aus als ein einfacher CV. In Brasilien wurde lange Zeit ein „gutes Aussehen“ verlangt, was ein Deckname für Weiße war. Auch heute noch haben Schwarze Angst davor, Bilder mit Afro-Haar oder andere Hinweise auf das Schwarzsein zu veröffentlichen. Aber ich denke, wenn man sich um eine Stelle an einem Ort bewirbt, an dem man sich ausdrücklich für Gleichberechtigung einsetzt, kann man ein Foto dazutun. Andererseits empfehle ich, sich so weit wie möglich nicht bei Unternehmen zu bewerben, die keine ausdrückliche Eingliederungs- und Gleichstellungspolitik verfolgen.