Brasilien: Im Handy des Präsidenten

Noch ist nicht klar, wie viele brasilianische Politiker und Staatsbedienstete betroffen sind, aber das Ausmaß der Affäre ist jetzt schon enorm. Einem oder mehreren Hackern ist es gelungen, die Handydaten der gesamten Staatsspitze Brasiliens anzuzapfen.

Betroffen sind laut brasilianischer Sicherheitsbehörden: Präsident Jair Bolsonaro, mehrere Minister, die Vorsitzenden von Senat und Abgeordnetenhaus, die Generalbundesanwältin, mindestens ein Richter am Obersten Gerichtshof sowie mehrere Abgeordnete und Staatsanwälte. Insgesamt soll es den Hackern gelungen sein, 976 Personen auszuspionieren. Ob es in allen Fällen dieselben Eindringlinge waren, weiß man bislang nicht.

Die Affäre wurde bekannt, als Brasiliens Bundespolizei vergangene Woche vier Verdächtige im Hinterland des Bundesstaats São Paulo im Rahmen der „Operação Spoofing“ festnahm. Einer von ihnen, der 30-jährige Walter D. N., ist geständig, einige der Hacks begangen zu haben. Dazu nutzte er Nachlässigkeiten im Sicherheitssystem des Cloud-basierten Nachrichtendienst Telegram. Es gelang ihm offenbar, nur mit den Nummern der Opfer und Anrufen auf deren Mailboxen Zugang zu deren Telegram-Code zu erhalten. Er konnte dann ihre Gespräche einsehen und hatte Zugang zu ihren Kontaktlisten. So gelangte er Schicht um Schicht in den brasilianischen Staatsapparat hinein.

Immer mehr Politiker und Autoritäten berichten nun, dass ihr Telegram-Konto eingesehen worden sei oder dass es Hacking-Versuche gegeben habe. Telegram galt bislang in Brasilien als sicherere Alternative zu Whatsapp. Diesen Ruf ist es nun los, zumal die Vorgehensweise des mutmaßlichen Hackers nicht besonders ausgefeilt zu sein scheint. Walter D. N. ist bei der Justiz kein Unbekannter, es existieren bereits Anklagen wegen Betrugs und Dokumentenfälschung gegen ihn.

Die Affäre gewinnt dadurch an Brisanz, weil einige brasilianische Medien bereits seit Wochen Telegram-Konversationen des jetzigen Justizministers Sérgio Moro veröffentlichen. Die Gespräche waren zuerst der Online-Seite „The Intercept Brasil“ zugespielt worden, die die Daten nun mit drei anderen großen Medienhäusern auswertet.

Die Gespräche belegen, dass Moro zu seiner Zeit als Richter illegal handelte. So traf er Absprachen mit Staatsanwälten, um den linken Ex-Präsidenten Lula da Silva 2018 wegen Korruption hinter Gitter zu bringen. Moros Urteil gegen Lula ebnete dann den Weg für den rechtsextremen Jair Bolsonaro ins Präsidentenamt. Lula wäre der einzige Kandidat gewesen, der Bolsonaro geschlagen hätte, so sagten es alle Umfragen. Nach seiner Wahl ernannte Bolsonaro dann Sérgio Moro umgehend zum Justizminister. Man kann das Vorgehen Moros also durchaus als unanständig empfinden.

Walter D. N. hat bereits zugegeben, dass er es war, der die Telegram-Konversationen zwischen Moro und den Staatsanwälten an „The Intercept Brasil“ weitergegeben hat. Dazu kontaktierte er anonym den US-Journalisten Glenn Greenwald, den Gründer und bekanntesten Mitarbeiter von „The Intercept“. Greenwald wurde weltbekannt, als er 2013 mit Edward Snowden bei der Veröffentlichung der geheimen NSA-Dokumente der US-Regierung kollaborierte. Er lebt mit seinem Ehemann, einem sozialistischen Parlamentsabgeordneten, seit einigen Jahren in Rio de Janeiro. Für die Weitergabe der Konversationen floss laut Greenwald und der Aussage Walter D. zufolge kein Geld.

Im extrem zwischen links und rechts polarisierten Brasilien tobt nun ein erbitterter Streit um die Deutung der Affäre. Die Rechte betont das kriminelle Vorgehen der Hacker und sieht in der Veröffentlichung der Konversationen sozusagen einen Akt der Hehlerei. Es handle sich um einen Versuch, den Kampf gegen die Korruption zu behindern. Sérgio Moro war der Richter im gigantischen Korruptionsskandal, der ab 2014 unter dem Codenamen Lava Jato weltbekannt wurde. Er brachte zahlreiche Politiker und Wirtschaftsführer hinter Gitter. Moro gilt seitdem bei Brasiliens Rechter als eine Art Justizsupermann.

Die Linke wiederum sieht einen weiteren Beweis für die Parteilichkeit Moros. Er habe das linke Idol Lula da Silva kurz vor den Wahlen 2018 durch illegale Verabredungen mit den Anklägern aus dem Verkehr gezogen, um dann von der Wahl Bolsonaros zu profitieren. Moro sei selbst korrupt und müsse den Hut nehmen. Das Gesetz habe auch für ihn zu gelten. „The Intercept Brasil“ und Glenn Greenwald berufen sich unterdessen auf den Quellenschutz und das brasilianische Pressegesetz, das die Veröffentlichung von illegal erworbenen Informationen schützt, wenn dies im Interesse der Öffentlichkeit geschieht.

Sérgio Moro hat sich nun einen Fauxpas erlaubt. Er kündigte über Twitter an, dass alle von der Bundespolizei sichergestellten Telegram-Konversationen vernichtet würden. Diese Entscheidung steht ihm als Justizminister jedoch überhaupt nicht zu. Dann unterzeichnete er einen Erlass, der die Ausweisung von „gefährlichen Personen“ vereinfacht, wenn sie im Verdacht stehen, kriminelle Akte begangen zu haben. Experten kritisieren die allgemeinen Formulierungen in dem Erlass, die der Willkür Tür und Tor öffneten. Manche sehen darin auch eine Drohung gegen Glenn Greenwald, die neue Hassfigur der brasilianischen Rechten. Präsident Jair Bolsonaro hat Greenwald bereits gedroht, dass er „vielleicht eingebuchtet“ werde. Zum Hackerangriff auf sein Handy sagte Bolsonaro, dass ihn die Affäre nicht sonderlich tangiere. Auf seinem Handy hätten die Hacker garantiert nichts Belastendes gefunden.