Die Fäkalspräche Bolsonaros

Die Fäkalspräche Bolsonaros

Brasiliens Nachrichtensendungen warnten die Zuschauer am Freitagabend vorab vor den vielen Schimpfwörtern, die sie zu hören bekommen würden. Aus Gründen der Transparenz würde man sie nicht ausblenden.

Foto: Janine Moraes / Câmara dos Deputados

Was dann ausgestrahlt wurde, war der Mitschnitt einer Kabinettssitzung der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro. Es ging um eine generelle Einschätzung der Lage des Landes und der Regierung. Die 3000 Toten, die die Covid-19-Pandemie zu dem Zeitpunkt schon gefordert hatte, kamen nur am Rande vor.

Die Veröffentlichung des Videos hatte kurz zuvor ein Richter des Obersten Gerichtshofs genehmigt. Brasiliens Ex-Justizminister Sérgio Moro hatte sie beantragt. Moro wollte beweisen, dass Präsident Bolsonaro versucht habe, illegal Einfluss auf Brasiliens Bundespolizei auszuüben. So habe Bolsonaro den Chefposten der Polizei mit einem Vertrauensmann seiner drei rechtsextremen Politiker-Söhne besetzen wollen. Gegen just diese Söhne ermittelt aber die Polizei wegen der Verbreitung von Fake News und Verwicklung ins organisierte Verbrechen. Wegen des Vorgangs trat Moro Ende April zurück – und wiederholte seine Vorwürfe vor der Staatsanwaltschaft. Sein Beweis: die Kabinettssitzung.

Präsident Bolsonaro bezeichnete Moro daraufhin als „Judas“ und wies alle Schuld von sich. Der Streit gipfelte nun in der Ausstrahlung des Videos. In dessen Verlauf beklagt Bolsonaro sich bitter, dass seine Familie nicht ausreichend geschützt werde und er nicht genug Informationen von der Polizei erhalte. Wenn sich das nicht ändere, werde er alle bis hinauf zum Justizminister auswechseln. „Ich werde nicht darauf warten, bis meine Familie gefickt wird“, sagte Bolsonaro. Wenig später ist zu sehen, wie Moro aufsteht und die Sitzung verlässt.

Die Aussagen werden von Ermittlern laut der Zeitung „O Globo“ als Hinweis darauf gewertet, dass Bolsonaro Einfluss auf die Bundespolizei nehmen wollte. Sie sind allerdings kaum ein Beweis. Bolsonaro sah sich denn auch als entlastet an. Er twitterte am Freitagabend: „Mäßigung bei der Verteidigung der Wahrheit bedeutet, der Lüge einen Dienst zu erweisen. (…) Allen eine gute Nacht!“

Mäßigung konnte man Bolsonaro während der Kabinettssitzung nun wirklich nicht vorwerfen. Wer ihr folgte – es fehlten einzig Stellen, in denen es um Außenpolitik ging –, der durfte das erstaunliche Schimpfwortrepertoire Bolsonaro erleben. Der Präsident tat vor allem eins: attackieren, drohen, toben. Man bekam den Eintrug eines Präsidenten im Schützengraben, der mit Verbalgranaten um sich schmeißt. Dutzende Male benutzte er etwa den Begriff „verdammte Scheiße“.

Ziel von Bolsonaros Tiraden waren besonders die konservativen Landesgouverneure von São Paulo und Rio de Janeiro, João Doria und Wilson Witzel. Ersteren nannte er „Kacke“, letzteren „Gülle“. Der Grund: Beide hatten Quarantänen gegen die Ausbreitung des Coronavirus verhängt, die Bolsonaro für „diktatorisch“ hält. Daher sei er auch für die Bewaffnung aller Brasilianer. Sie müssten sich gegen die Tyrannei wehren können.

Allerdings waren die Ausfälle Bolsonaros für die Brasilianer kaum eine Neuigkeit. Der Mann ist für seine katastrophalen Umgangsformen bekannt – seine Fans nennen es Authentizität und Volksnähe.

Schockierender waren daher fast schon die Einlassungen anderer Kabinettsmitglieder. Bildungsminister Abraham Weintraub sagte wörtlich: „Ich würde diese Penner ins Gefängnis stecken. Beginnend mit dem Obersten Gerichtshof.“ Weintraub muss deswegen nun wahrscheinlich mit Ermittlungen des Gerichts rechnen. Er führte weiter aus, dass er die Kommunistische Partei Chinas hasse, die Brasilien in eine Kolonie verwandeln wolle. Außerdem hasse er den Begriff „Indigene Völker“. Es gebe hier nur eine Volk: die Brasilianer.

Für Aufsehen sorgten auch die rassistischen Aussagen von Familienministerin Damares Alves. Sie warnte davor, dass zu viele Kinder in afro-brasilianischen Gemeinden geboren würden. „Es geht um Werte“, betonte die evangelikale Pastorin.

Weniger verwirrt aber umso berechnender war die Aufforderung von Umweltminister Ricardo Salles an seine Ministerkollegen. Er sagte, dass man die Corona-Krise ausnutzen solle, um umstrittene Vorhaben unbemerkt durchzubringen. Man könne ja sonst nichts beschließen, ohne dass es einen Aufschrei gebe. Salles selbst versuchte diese Taktik schon mehrfach anzuwenden, etwa um Amnestievorhaben für Umweltsünder durchzusetzen.

Trotz solcher entlarvender Aussagen sowie der vielen Schimpfwörter dürfte die öffentlich gewordene Kabinettssitzung politisch kaum etwas in Brasilien verändern. Das Land ist extrem in Anhänger und Gegner Bolsonaros gespalten. Beide Seiten dürfen sich bestätigt fühlen.