Ecuador: „Revolution der Schnorrer“

Ecuador: „Revolution der Schnorrer“

Bis an den Präsidentenpalast in Quito sind die wütenden Demonstranten vorgerückt. Viele sind vermummt, tragen Knüppel, halten Schutzschilde, werfen Steine über eine Barriere vor der große Feuer brennen.

Foto: Voice of America

Von der anderen Seite fliegen Tränengasgranaten heran, die Straße ist in Rauch gehüllt, die zumeist jungen Männer ziehen sich zurück und greifen dann wieder an.

Szenen wie von dieser Handyaufnahme erschüttern Ecuador seit Tagen. Sie stammen vom Generalstreik, zu dem am Mittwoch Ecuadors Gewerkschaften und die einflussreiche Indigenen-Föderation Conaie aufgerufen hatten. Zehntausende befolgten ihn und gingen auf die Straßen; die Geschäfte, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen blieben geschlossen. Vorsorglich hatte Präsident Lenin Moreno seine Regierung nach Guayaquil verlegen lassen, die größte Stadt Ecuadors.

Dann allerdings kehrte er überraschend in die Hauptstadt zurück und schlug Gespräche mit der Oppositionsbewegung vor. Offenbar hatte er begriffen, dass er verhandeln muss, um sich an der Macht halten zu können. Die Zeichen in Ecuador stehen auf Sturm.

Der massive Protest, der Ecuador bereits seit mehr als einer Woche lahmlegt, richtet sich gegen ein Sparprogramm, das Moreno mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelt hat. Ecuador erhält im Gegenzug einen IWF-Kredit über 4,2 Milliarden Dollar. 

Moreno war 2017 mit einem gemäßigt linken Programm gewählt worden, vollzog dann aber einen Schwenk nach Rechts und ließ sich mit dem IWF ein. Deswegen gilt er vielen Ecuadorianern nun als neoliberaler Verräter. Tatsächlich agiert der 66-Jährige, der wegen einer Schussverletzung seit 1998 im Rollstuhl sitzt, eher ungeschickt, distanziert und widersprüchlich. Als er die Demonstranten gegen seine Politik als „zánganos“ bezeichnete, als Schnorrer, hatte er ungewollt den Namen für die Protestbewegung geschaffen: „Revolution der Schnorrer“. Dann verhängte Moreno den Ausnahmezustand, was als Zeichen von Schwäche gewertet wurde. Mindestens einen Toten, Dutzende Verletzte und Hunderte Festnahmen hat es bei den Protesten bislang gegeben. Ecuadors Polizei geht mit teils großer Brutalität vor, aber auch einige Gruppen Protestierender sind nicht zimperlich.

Der Auslöser für die Unruhen – das Sparprogramm des IWF – sieht Kürzungen im öffentlichen Dienst, eine Liberalisierung des Arbeitsrechts und Steuerentlastungen für die Importwirtschaft vor. Was viele Ecuadorianer aber letztendlich auf die Straße getrieben hat, ist die Abschaffung der Subventionen für Benzin und Diesel. Binnen weniger Tage stiegen die Treibstoffpreise um mehr als 100 Prozent.

Moreno argumentiert nun, dass die Subventionen den Haushalt jährlich 1,3 Milliarden Dollar kosteten und dass das verschuldete Ecuador sich diese Ausgaben nicht mehr leisten könne. Die Sparmaßnahmen seien „mutig“ und „notwendig“. Wie dem auch sei: Es ist jedenfalls nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte Lateinamerikas, dass ein an Sparmaßnahmen geknüpfter IWF-Kredit zu schweren Unruhen und politischer Destabilisierung führt.

Lenin Moreno hat unterdessen zwei Hauptverantwortliche für die gewaltsamen Proteste identifiziert: Seinen Vorgänger Rafael Correa und Venezuelas sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro. Sie konspirierten gemeinsam, um einen sozialistischen Umsturz herbeizuführen, sagte Moreno.

Der genaue Einfluss Venezuelas auf die Proteste ist eher unklar, aber es gibt Hinweise auf venezolanische Agenten unter den Demonstranten. Fest steht, dass Rafael Correa aus dem Exil in Belgien heftig agitiert. In TV-Interviews und über Twitter beschimpft er Lenin Moreno als “nicht besonders helle”. Er nennt ihn „größten Heuchler unserer Zeit“ oder „Jungen der Oligarchie“.

Correa und Moreno kennen sich gut. Correa war zwischen 2007 und 2017 Präsident Ecuadors und sein Vizepräsident hieß: Lenin Moreno. Nachdem Moreno dann 2017 an die Macht kam, brach er radikal mit der Politik seines Vorgängers. Er lieferte etwa den Wikileaks-Chef Julia Assange aus, der in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl erhalten hatte. Außerdem ließ Moreno Ermittlungen gegen Correa wegen Korruption und anderer Vergehen einleiten. Correa ging daraufhin nach Belgien und sagte, er kehre nur zurück, wenn er einen fairen Prozess erhalte.

In den Nullerjahren gehörte Rafael Correa einst zur Riege der linken Präsidenten, die Südamerika zunächst sehr erfolgreich regierten, dann aber autoritäre Tendenzen zeigten und wegen Wirtschaftskrisen und Korruption abgewählt wurden – oder sich wie im Fall Venezuelas bis heute diktatorisch an der Macht halten.

Wie viele Länder Lateinamerikas ist auch Ecuador heute extrem zwischen rechts und links polarisiert. An Rafael Correa spalten sich die Geister. Von der weißen Elite gehasst, genießt er unter den Armen und Indigenen Ecuadors immer noch hohes Ansehen. Als Ausweg aus der Staatskrise fordert Correa nun Neuwahlen – bei denen er offenbar selbst wieder antreten würde und sich gute Chancen ausrechnet. Die Beliebtheitswerte von Lenin Moreno sind jedenfalls im Keller.

Unterdessen hat Ecuadors Indigenen-Föderation Conaie jedes Gespräch mit der Moreno-Regierung über einen Ausweg aus der Krise abgelehnt. Erst müsse der IWF aus Ecuador verschwinden. Außerdem haben Ecuadors Ureinwohner der Polizei das Betreten ihrer Territorien untersagt. Es sei eine Reaktion auf die Brutalität der Sicherheitskräfte, wer zuwiderhandle, werde festgesetzt. Es sieht alles danach aus, dass der Kampf um die Macht in Ecuador erst begonnen hat.