Ein Pfeil aus dem Nichts

In Brasiliens Amazonasdschungel wird ein bekannter Indigenen-Schützer von isoliert lebenden Ureinwohnern getötet. Er wollte ganz alleine einen drohenden Konflikt mit illegalen Siedlern abwenden. Die Tragödie unterstreicht auch die langsame Zerstörung von Brasiliens Indio-Schutzbehörde durch die Regierung Bolsonaro.

„Er stieg einen Hügel hinauf als ein Pfeil angeschwirrt kam.“ So berichtet es ein Polizist, der Rieli Franciscato auf seiner letzten Mission im Amazonas-Dschungel begleitete. Franciscato war einer der renommiertesten Kenner der Indigenen Völker Brasiliens. Der Pfeil habe ihn direkt in die Brust getroffen, er habe aufgeschrien, wie der Polizeibeamte in einer Audionachricht erzählt. Der Forscher habe sich den Pfeil noch herausreißen können und sei weggerannt, aber nach 50, 60 Metern sei er tot zusammengebrochen. Das archaische Geschoss hatte auch sein Herz verletzt.

Die genauen Umstände von Rieli Franciscatos Tod, der sich am Mittwoch ereignete, sind noch ungeklärt, aber seine Tötung ist ein Schock für die kleine Gemeinde von Forschern, die sich für Brasiliens Indigene Völker einsetzt. Der 56-jährige Franciscato, der für die Indio-Schutzbehörde Funai arbeitete, war ein ausgezeichneter Kenner und Verteidiger der letzten isolierten Völker Brasiliens. Dies sind Gruppen aus zumeist wenigen Dutzend Ureinwohnern, die noch tief im Amazonas-Wald leben und den Kontakt mit der Außenwelt meiden, auch zu anderen Indigenen. Allerdings werden sie immer stärker bedrängt von Holzfällern, Goldsuchern und Bauern, die illegal in die Wälder vordringen.

Auf seiner letzten Mission war Franciscato unterwegs zu einer Gruppe, die als „Isolierte von Cautário“ bekannt sind. Sie wurden benannt nach einem Fluss im Reservat Uru-Eu-Wau-Wau im brasilianischen Bundesstaat Rondônia. Einige der Indigenen hatten sich offenbar immer wieder den Höfen einiger illegaler Siedler im Reservat genähert. Diese vertrieben sie mit lauten Schreien (was sie per Handy filmten), schließlich alarmierten sie die Funai. Franciscato wollte nun sowohl die Siedler darüber aufklären, wie sie sich zu verhalten hätten, als auch nach Spuren der Indigenen suchen. Als er mit zwei Polizisten und einem Funai-Kollegen in den Wald eindrang, traf ihn der Pfeil, der aus dem Nichts gekommen sei, wie ein weiterer Begleiter erzählt. Man habe nur noch gehört, wie die Indigenen weggerannt seien.

Die „Isolierten von Cautário“ seien bislang nicht dafür bekannt, aggressiv zu sein, berichten nun Experten. Aber irgendetwas müsse geschehen sein, das ihnen Angst gemacht habe. Offenbar fühlten sie sich durch Eindringlinge bedroht und wollten sich verteidigen. Wegen ihrer totalen Isolierung seien sie nicht in der Lage, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.

Der Tod Rieli Franciscatos ist umso tragischer, weil er sich stets dafür eingesetzt hatte, die unkontaktierten Ureinwohner in Ruhe zu lassen und ihre Reservate streng zu schützen. Er habe immer versucht, mögliche Konflikte zwischen den Isolierten und Eindringlingen zu entschärfen, erzählt die Umweltschützerin und Freundin Franciscatos, Ivaneide Cardozo. Aber er habe sich bei seiner Arbeit zunehmend alleine gelassen gefühlt.

Die Tragödie unterstreicht die Vernachlässigung der Indio-Schutzbehörde Funai durch die Regierung des ultra-rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. Dieser ist ein erklärter Feind der Indigenen und hat sie schon mit „Tieren im Zoo“ verglichen, die endlich „so wie wir“ und „richtige Brasilianer“ werden sollten.

Der Funai wurden in Bolsonaros Amtszeit Gelder, Personal und Kompetenzen gestrichen. Sie wird nun von einem Militärpolizisten ohne nennenswerte Expertise auf dem Gebiet geleitet. Ausgerechnet der Abteilung für isolierte Völker, für die Franciscato arbeitete, steht ein Mann vor, der zuvor als evangelikaler Missionar in Indigenen-Reservaten gearbeitet hatte und wenig Engagement zeigt, die unkontaktierten Ureinwohner zu schützen.

Der Ex-Chef der Funai, Sydney Possuello, der eng mit Franciscato befreundet war, macht denn auch die Bolsonaro-Regierung für seinen Tod mitverantwortlich. Possuello sagte, dass die Umstände von Franciscatos Tod die ganze kriminelle Vernachlässigung der Funai zeigten. Ihre Strukturen würden zerstört und die Funai-Beamten, die sich auf den schwierigsten Missionen befänden, würden alleine gelassen. Der Tod Franciscatos beschleunige nun weiter die schleichende Ausrottung der letzten isolierten Ureinwohner Brasiliens.