EU/Mercosur: Autos gegen Fleisch

EU/Mercosur: Autos gegen Fleisch

20 Jahre hat es gedauert, die Verhandlungen waren teilweise ausgesetzt, es gab unüberbrückbare Differenzen. Umso überraschender kam nun die schnelle Einigung über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft aus Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.

Die Vereinbarung bringt 512 Millionen Europäer und 260 Millionen Südamerikaner in der größten Freihandelszone der Welt zusammen, sie repräsentieren 25 Prozent der Weltwirtschaft.

Das Abkommen wurde am Freitag in Brüssel zwischen den Außenministern aus Südamerika und den EU-Kommissaren für Handel sowie Landwirtschaft beschlossen. Vier Milliarden Euro würden europäische Firmen in Zukunft an Zöllen einsparen, versprach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro twitterte: „Grande Dia.“ Großer Tag.

Beobachter fassten das Abkommen schnell unter dem Titel „Autos gegen Fleisch“ zusammen. Es ist eine Anspielung auf die wirtschaftlichen Stärken der beiden Regionen. Die Südamerikaner werden in Zukunft ihre Agrarprodukte leichter in die EU exportieren können, etwa Fleisch, Orangensaft, Früchte, Zucker, Ethanol und Kaffee.

Die Europäer wiederum erhoffen mehr Exporte von Industrieprodukten wie Autos, Maschinen, Chemikalien, Medikamenten und Kleidung. Bislang erhoben die Mercosur-Staaten auf sie Einfuhrzölle von 14 bis 35 Prozent. Besonders Brasilien, das wirtschaftlich stärkste südamerikanische Land, verfolgte einen extrem protektionistischen Kurs. Ein Kuriosum am Rande: Die Südamerikaner sagten zu, die Fälschung europäischer Produkte mit geschützter Herkunftsbezeichnung zu unterbinden, etwa Tiroler Speck, Münchner Bier oder Parma Schinken.

Die treibenden EU-Länder hinter dem Abkommens waren Spanien, Portugal und Deutschland. Die Bundesregierung agierte dabei ganz offenbar mit Blick auf Deutschlands Auto- und Chemieindustrie. Auf die Bremse drückten hingegen Polen und Frankreich. Sie sorgen sich um ihre Landwirte, die sich nun die Konkurrenz der enorm produktiven Agrarwirte aus Brasilien und Argentinien gefallen lassen müssen. Frankreichs Präsident Emmanul Macron drohte daher noch auf dem G-20-Gipfel in Japan, dem Vertrag nicht zuzustimmen, sollte Brasilien aus dem Pariser Klimaabkommen austreten oder Umweltstandards nicht einhalten.

Tatsächlich leugnet Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro den Klimawandel. Er hat mehrfach gesagt, dass Brasilien aus dem Pariser Abkommen austreten werde. Sein zu Verschwörungstheorien neigender Außenminister Ernesto Araújo bezeichnete den Klimawandel sogar als „kultur-marxistisches Komplott“. Araújo galt bisher auch als Feind multilateraler Abkommen. Umso überraschender war das schnelle Einlenken Brasiliens. Araújo sagte zu, im Pariser Klimaabkommen zu verbleiben sowie Umweltauflagen und soziale Standards einzuhalten. Es mag damit zusammenhängen, dass die Regierung Bolsonaro nach sechs Monaten Regierungszeit einen Erfolg vorweisen muss. Sie hat noch kein einziges Gesetz durch den zersplitterten Kongress gebracht.

Das Freihandelsabkommen bedeutet auch Rückenwind für Argentiniens konservativen Regierungschef Mauricio Macri. Er stellt sich im Oktober zur Wiederwahl, hat aber mit einer Wirtschaftskrise und schlechten Umfragewerten zu kämpfen.

Es ist trotz allem zu fragen, wie die EU die Einhaltung von Umweltstandards und Arbeitsrechten in den Mercosur-Ländern kontrollieren möchte. Seit Anfang des Jahres hat Brasiliens Agrarministerin 239 neue Pestizide zugelassen. Einige davon sind in der EU verboten und ihr Zusammenwirken wurde bislang nicht untersucht. Wegen des massiven Pestizid-Einsatzes nimmt jeder Brasilianer bereits heute durchschnittlich fünf Liter Agrargift pro Jahr mit der Nahrung zu sich. Es ist ein Weltrekord.

Ein weiterer kritischer Punkt: Brasiliens Großbauern konkurrieren in vielen Regionen mit Indios, Kleinbauern, Landlosen sowie den Nachkommen afrikanischer Sklaven um Land. Die Konflikte sind häufig gewalttätig und bleiben wegen der Größe Brasiliens im Verborgenen. Brasiliens Fazenderos sind ebenso dafür berüchtigt, ihre Flächen auf Kosten des Amazonaswaldes rücksichtslos und illegal auszuweiten. Auch die Agrarindustrien Argentiniens und Paraguays sind nicht gerade für ihre Sensibilität im Umgang mit der Umwelt oder ihr soziales Gewissen bekannt.

Sie dürfen sich nun als die großen Gewinner des Freihandelsabkommens fühlen. Derzeit stammt die Hälfte aller Mercosur-Ausfuhren in die EU aus der Landwirtschaft, das gesamte Exportvolumen betrug 42,6 Milliarden Euro. Die EU exportiert in umgekehrter Richtung Waren im Wert von 45 Milliarden Euro, davon 95 Prozent aus industrieller Produktion.

EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan hat bereits vorausgesagt, dass das Abkommen Europas Bauern vor große Herausforderungen stellen werde. Er versprach ihnen allerdings den Beistand der EU. So könne man bestimmte Produkte aus Südamerika mit „sensibel gehandhabten“ Einfuhrquoten belegen.

Während in Europa Umweltschützer und Bauernverbände besorgt über das Freihandelsabkommen sind, überwiegt in Südamerika die Freude über die engere Anbindung an Europa. Man sieht das Abkommen hier auch als Zeichen für das Wiedererstarken der Mercosur-Gemeinschaft, deren Existenzberechtigung seit Jahren immer wieder in Frage gestellt wird.

Last not least, ist der EU-Mercosur-Vertrag ein Gegenpol zum Protektionismus der USA und Chinas. Nach dem Motto: Sollen andere sich isolieren und Handelskriege austragen, wir arbeiten zusammen. Auch dieses Signal mag hinter der schnellen Einigung zwischen Europäern und Südamerikanern stecken. Allerdings müssen nun noch die Parlamente aller beteiligten Länder das Abkommen ratifizieren. Und das kann wieder einige Jahre dauern.