Flamengo: kein Fußballclub, eine Religion!

Flamengo: kein Fußballclub, eine Religion!

Pünktlich mit dem Abpfiff im fernen Lima ging in Rio de Janeiro ein Platzregen nieder. Aber das störte die Fans von Brasiliens größtem Fußballclub, Flamengo, nicht.

In rot und schwarz gestreiften Hemden strömten sie auf die Straßen, schossen allerhand Feuerwerk ab und tanzten bis spät in die Nacht auf den Straßen. Die Bier- und Caiprinha-Verkäufer machten ein Riesengeschäft, der Schlachtruf „Mengooo, Mengooo“ hallte durch die Wohnviertel.

Flamengo hatte soeben die Copa Libertadores mit Toren von Gabigol in der 89. und 92. Minute gegen River Plate aus Buenos Aires gewonnen. River hatte in einem äußerst zerfahrenen Spiel ab der 15. Minute mit 1-0 geführt und sah lange Zeit wie der Sieger aus, zumal die Argentinier den Titel schon 2015 und 2018 geholt hatten und als das erfahrene Team galten. Brasiliens Medien sprachen denn auch gleich nach dem Schlusspfiff von einem „historischen Moment“, der sich im imposanten Monumental-Stadion von Lima ereignet habe. Ursprünglich sollte das Finale in Santiago de Chile stattfinden, wurde aber wegen der dortigen schweren Unruhen nach Peru verlegt.

Die Copa Libertadores ist das südamerikanische Pendant zur europäischen Champions League und der begehrteste Titel des Halbkontinents. Das Endspiel in Lima kann nun auch als Versuch des südamerikanischen Fußballverbands Conmebol betrachtet werden, den Wettbewerb an die Champions League anzugleichen: Erstmals wurde der Sieger in einem einzigen Finalspiel ermittelt, anstatt per Hin- und Rückspiel.

Die überschwänglichen Emotionen in Brasilien waren auch damit zu erklären, dass Flamengo den Titel zum letzten mal vor 38 Jahren gewonnen hatte. Damals schoss der heute legendäre Zico zwei Tore im Entscheidungsspiel in Montevideo.

CR Flamengo ist nicht irgendein Team. Der Regatta-Club Flamengo – er ging aus einem Ruderclub hervor – gilt als Verein mit den meisten Anhängern der Welt. Rund 40 Millionen Menschen sind rund um den Globus Fans. In Brasilien kann es passieren, dass man selbst im abgelegensten Indio-Dorf im Amazonas einen Ureinwohner mit dem rot-schwarzen Flamengo-Shirt trifft. In vielen Städten im Landesinneren Brasiliens wie Manaus oder Brasília, in denen Zuwanderer aus anderen Regionen leben, hat Flamengo oft riesige Fanclubs. Es hat auch damit zu tun, dass die Anhänger allen sozialen Schichten und Hautfarben angehören, sowohl aus Favelas wie Reichenvierteln stammen. Flamengo, so heißt es oft, sei kein Fußballclub, sondern eine Religion.

Den Erfolg Flamengos, das zuletzt lange Zeit nur im brasilianischen Liga-Mittelfeld herumkrebste, kann man auf drei Faktoren zurückführen. Zunächst hat der Verein als erster großer Club Brasiliens seine chaotischen Finanzen geordnet. Viele Brasilianische Vereine sind hochverschuldet, wären sie Unternehmen müssten sie schließen. Bei Flamengo hat man in den vergangenen Jahren hingegen vernünftig gewirtschaftet.

Zweitens ist da der Trainer: Der Portugiese Jorge Jesus, lange Zeit bei Benfica Lissabon unter Vertrag, übernahm erst zur Saisonmitte in diesem Jahr das Team. Der 65-Jährige, den sie hier Mister nennen, verordnete Flamengo einen europäischeren Stil mit frühem Stören, schnellem und direktem Angriffsspiel mit vertikalen Pässen. In der äußerst mittelmäßigen brasilianischen Liga, aus der Talente ohnehin meist früh nach Europa gehen, ist das neu. Es führte dazu, dass Flamengo seine Gegner oft schier überrannte. Der stets elegant gekleidete Jesus ist nach dem Kroaten Mirko Jozic nun der zweite europäische Trainer, der die Copa Libertadores gewonnen hat.

Drittens muss die Mannschaft genannt werden. Acht neue Spieler hat der Club verpflichtet, die auf Anhieb zueinander fanden. Es ist eine Mischung aus jungen Talenten und Veteranen aus Europa etwa Filipe Luis von Atlético Madrid sowie die ehemaligen Bundesliga-Profis Rafinha und Diego. Letzterer wurde im Finale eingewechselt und Flamengos Spiel wurde klarer und gefährlicher.

Am entscheidendsten war allerdings ein magisches Stürmerduo: der von Inter Mailand ausgeliehene Gabriel Barbosa, Fußballername Gabigol, und Bruno Henrique haben in dieser Saison die Verteidiger Südamerikas schwindelig gespielt. Insbesondere Gabigol, der nun nach Italien zurückkehren dürfte, kann Spiele im Alleingang entscheiden. So auch am Sonnabend in Lima. 89 Minuten war er blass geblieben geblieben, schien von Rivers hart einsteigenden Verteidigern entnervt. Dann tauchte er alleine vor dem Tor auf und vollendete einen Angriff, den Henrique eingeleitet hatte. Drei Minuten später nutzte er einen Fehler in Argentiniens Abwehr. Es war der Moment, als es im fast 4000 Kilometer entfernten Rio kein Halten mehr gab.