Hasskampagne gegen Oscar-Anwärter

Hasskampagne gegen Oscar-Anwärter

Brasiliens Regierung hat sich in die Oscar-Verleihung eingemischt, die am Sonntag in Hollywood stattfindet. Ausgerechnet gegen den einzigen brasilianischen Anwärter auf die Trophäe macht sie Stimmung.

Foto: democraciaemvertigem.com/

Es geht um den Film „The Edge of Democracy – Am Rande der Demokratie“, der seit Juni bei Netflix läuft und in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert ist. Gedreht hat ihn die die junge Regisseurin Petra Costa.

Sie wird nun vom brasilianischen Präsidialamt in einem offiziellen Tweet als „anti-brasilianische Aktivistin“ bezeichnet, die das Ansehen Brasiliens im Ausland in den Schmutz ziehen würde. „Glaub nicht an Fiktion“, fordert der Beitrag fast schon im Nazi-Stil, „glaub an Fakten“. Zu dem Tweet postet das Präsidialamt auch einen Clip, in dem kritische Aussagen Costas aus einem Interview mit dem amerikanischen Sender PBS als „Fake News!“ bezeichnet werden. Dabei stimmt, was sie dort sagt, etwa dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro Holzfäller und Großgrundbesitzer ermutigt hat, den Amazonaswald zu zerstören.

Nun tobt in Brasilien eine Debatte über Petra Costa und ihren für den Oscar nominierten Film. Während progressive Brasilianer ihn als dokumentarisches „Meisterwerk“ feiern, spricht Brasiliens Rechte von „Müll“. Präsident Jair Bolsonaro – weder bekannt für feine Manieren noch kulturelle Bildung – sagte in einer seiner mittlerweile berüchtigten improvisierten Pressekonferenzen: „Der Film ist gut für Leute, die mögen, was die Geier fressen.“ Er sagte auch, dass er den Film gar nicht gesehen habe. Daraufhin griff Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff den Staatschef über Twitter frontal an. Das Land werde von einem „rassistischen, homophoben Macho“ regiert, der Diktaturen, Folter und Polizeigewalt unterstütze. Niemand beschädige das Image Brasiliens im Ausland stärker als der Präsident selbst. Die Regisseurin Petra Costa habe sich in Anbetracht dieser Tatsachen noch moderat ausgedrückt.

Worum geht es nun in dem Film der 36-Jährigen? „The Edge of Democracy“ zeichnet die politischen und sozialen Umwälzungen nach, die Brasilien in den vergangenen Jahren erlebt hat. Vom Aufstieg des Landes in den Nullerjahren unter Präsident Lula da Silva; über die Massenproteste im Jahr 2013 gegen die Korruption und die anschließende Kampagne zur Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff; bis hin zu den Wahlen 2018, die der rechtsextreme Außenseiter Jair Bolsonaro gewann, nachdem der Favorit Lula da Silva zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Und zwar ausgerechnet von dem Richter, den Bolsonaro danach zu seinem Justizminister machte.

Petra Costa verschweigt nicht, auf welcher Seite sie steht. Ihre Eltern sind bekannte Alt-Linke, was ihr den Zugang in den Präsidentenpalast und zu hochrangigen Politikern der Arbeiterpartei erlaubte. Aber sie lässt in ihrem Film viele Stimmen zu Wort kommen, darunter auch Jair Bolsonaro. Costas Kamera ist immer ganz nah dran am Geschehen, es gibt ihrem Film eine wuchtige Unmittelbarkeit. Aber sie beansprucht nie die absolute Deutungshoheit, sondern sagt deutlich, dass der Film eine persönliche Erzählung sei: So habe ich als junge Brasilianerin die vielen Brüche und Schocks der vergangenen Jahre erlebt. Auf einer weiteren Ebene führt ihr Film vor, wie Demokratien heute in Gefahr geraten: nicht durch Militärputsche, sondern durch Medienkampagnen und die erfolgreiche Verbreitung von Lügen und Hass, die Extremisten wie Jair Bolsonaro an die Macht bringen.

Brasiliens Rechte spottet nun, dass der Film eine freie Erfindung sei und besser in der Kategorie Spielfilm für den Oscar nominiert worden wäre. Oft merkt man den Kritikern aber an, dass sie den Film überhaupt nicht gesehen haben. Denn anders als sie nun häufig behaupten, unterschlägt Costa nicht die Korruption der linken Arbeiterpartei. Andere Kritiker greifen zum plumpen Machismus wie der bekannte Fernsehmoderator Pedro Bial, der Costa als „unsicheres Mädchen“ bezeichnet, die nur die Bestätigung ihrer Eltern suche.

Brasiliens Regierung versucht nun, den weltweit beachteten Film als Produkt linker Propaganda darzustellen und Regisseurin Costa als Feindbild zu etablieren. „Ich verschwende meine Zeit normalerweise nicht damit, Drecksäuen wie Petra Costa zu widersprechen aber ihre absurden Behauptungen sind kriminell“, twitterte beispielsweise der Parlamentsabgeordnete Eduardo Bolsonaro, einer der Söhne von Präsident Bolsonaro. Unter dem Hashtag #petracostalies (Petra Costa lügt) konnten die rechten Hater sich dann austoben.

Die Regisseurin weilt unterdessen in Hollywood, gibt Interviews und lässt sich mit Stars wie Brad Pitt und Leonardo DiCaprio fotografieren. Letzterem hat Brasiliens Präsident schon allen Ernstes vorgeworfen, die Brandstiftung im Amazonasbecken zu finanzieren, um das Image Brasiliens zu beschädigen. Costa ist also in bester Gesellschaft. Falls ihr Film den Oscar am Sonntag gewinnen sollte, hat Brasiliens Rechte auch schon eine Erklärung parat. Es handle sich um den Versuch, der liberalen Globalisten aus Hollywood, die Politik anderer Länder zu beeinflussen.