Black Brauer

Black Brauer

Implicantes“ aus Porto Alegre ist die erste von Schwarzen gegründete und betriebene Brauerei Brasiliens. Das Bier, hergestellt von zwei Brüdern, ist ein Statement gegen den Rassismus und für die Demokratisierung des brasilianischen Biermarkts. Anfeindungen gehören für sie zum Alltag.

Foto: (c) Evgeny Makarow

Als die Chefs von Implicantes in der Corona-Pandemie eine Crowdfunding-Kampagne starteten, um ihre Brauerei über Wasser zu halten, bekamen sie neben viel Zuspruch auch wieder einmal den perfiden brasilianischen Rassismus zu spüren. „Ich sehe schwarz“, war noch ein vergleichsweise harmloser Kommentar, der über die sozialen Netzwerke kam. „Schmeckt das Bier nach schwarzem Sperma“, war eher der Ton, oder: „Die Biersorte ‘Marielle Franco’ kommt wahrscheinlich zerlöchert.“ Es war eine Anspielung auf die schwarze Stadträtin von Rio de Janeiro, die 2018 erschossen wurde.

Die Macher von Implicantes fühlen sich von solchen Angriffen bestärkt. „Wir spüren dadurch, wie notwendig wir sind“, sagt Daniel Dias. „Als Vorbild für andere schwarze Unternehmer, als Symbol des Kampfs gegen den Rassismus – und natürlich als alternative Brauerei.“ Während Dias spricht, kippt er einen Sack geschrotetes Gerstenmalz in einen Stahltank mit Wasser unter dem eine Gasflamme brennt. „Wir machen heute ein Pils“, sagt er. „Es beginnt mit dem Maischen, also der Fermentierung.“

Dias ist einer der Chefs von Implicantes, der ersten ausschließlich von Schwarzen gegründeten und betriebenen Brauerei Brasiliens. Die kleine Fabrik mit einer Produktionskapazität von bis zu 10.000 Litern liegt in einem Industriegebiet am Stadtrand von Porto Alegre, in dem es zwei Dutzend weitere kleine Brauereien gibt. Implicantes ist somit Teil der stark wachsenden Craft Brauereiszene in Brasilien. Die alternativen Brauer versuchen der Dominanz der großen Firmen etwas entgegenzusetzen, etwa dem schier allmächtigen und omnipräsenten Ambev-Getränkekonzern, der noch vor zehn Jahren den Biermarkt mit seinen industriellen Bieren beherrschte. Dann begann eine Entwicklung, die sich auch in Zahlen ablesen lässt. 2019 registrierten Brasiliens Behörden 1.209 Brauereien im Land, fast 1000 davon waren kleine bis mittlere Betriebe, die sich der Produktion alternativer Biere widmeten. Um durchschnittlich 25 Prozent nimmt ihre Zahl jedes Jahr zu.

Darüber hinaus steht Implicantes jedoch auch für den Beginn eines zarten sozialen Wandels in der Branche. Denn der Markt für Craft Bier war bislang zu fast 100 Prozent in der Hand von Weißen, die das Startkapital zur Finanzierung einer Brauerei haben. Implicantes bricht mit dieser Regel.

Gegründet wurden die Brauerei von Daniel Dias und seinem Bruder Diego am 20. November 2018. Das Datum wählten sie nicht willkürlich. Es ist Brasiliens „Tag des Schwarzen Bewusstseins“, der an die Sklaverei erinnert, die hier erst 1888 endete. Brasilien war das letzte Land Amerikas, das sie abschaffte.

Vor der Brauereigründung arbeitete Daniel noch als Ingenieur und Diego verkaufte Reiseversicherungen. In ihrer Freizeit brauten sie Bier in der Küche ihrer Mutter. Dann machten sie ihr Hobby zum Beruf. Mit Eigenkapital kauften sie eine kleine Brauerei: eine Halle mit Braukesseln, Tanks zur Fermentierung, einen Kühlraum zur Lagerung. Dann holten sie ihren Cousin Thiago Rosário dazu, der Erfahrung mit Verkauf und Vertrieb hatte. Außerdem ist noch der Braugeselle Andrés Amorim dabei, der heute seinen anderthalbjährigen Sohn mitgebracht hat, weil die Mutter auf Arbeit ist. Amorim assistiert Braumeister Daniel Dias und reist eine Tüte mit importiertem Hallertauer Hopfen auf, den er alsbald in den Braukessel schüttet. Währenddessen klingt laut und kraftvoll B. B. King durch die Brauereihalle. Es ist der Blues zum Bier.

Von Beginn an wollten die „Implis“, wie sie sich nennen, anders sein, wollten nicht über den Rassismus in Brasilien schweigen, den sie selbst erfahren hatten. „Craft Bier ist total elitisiert“, sagt der 31-jährige Daniel Dias. Bei dunklen Bieren räkele sich in der Regel eine schwarze Frau auf dem Etikett, und sie trügen Namen wie „Mulata“ oder „Morena“ – antiquierte und heute als rassistisch empfundene Begriffe für schwarze Frauen.

Als die Dias-Brüder einmal ihr Bier auf einer Biermesse präsentierten, sagten weiße Besucher zu den schwarzen Brauern: „Ihr seid Segregationisten, ihr macht kein Blondes.” Die Weißen fanden das extrem lustig. Nur die Dias-Brüder lachten nicht. In den sozialen Netzwerken bekamen sie schon früh beleidigende Nachrichten. „Wir wollen euer Sorghum-Bier nicht”, schrieb einer. Sorghum ist eine Getreideart, aus der in Afrika traditionell Bier gemacht wird.

Wie tief der Rassismus in den elitären Zirkeln Brasiliens verwurzelt ist, bekam auch eine junge schwarze Bier-Sommelier zu spüren, die in einer Whatsapp-Grupp mit 200 fast ausschließlich weißen Kollegen beschimpft und lächerlich gemacht wurde. Sie war so mutig, den Fall öffentlich zu machen.

Der Name der Brauerei, Implicantes, ist als Reaktion auf solche Angriffe und Diskriminierungserfahrungen zu verstehen. Er bedeutet so viel wie Provokateure oder Aufrührer. „Wir wollen Dinge auf den Plan rufen, die in unserer Gesellschaft stillschweigend akzeptiert werden.“, erklärt Daniel Dias.

Dazu gehört für ihn auch, dass Craft Bier wie alle etwas teureren Konsumprodukte in Brasilien vor allem von Wohlhabenden – sprich Weißen – konsumiert wird. „Wir machen ein Bier, dass für alle erschwinglich sein soll“, sagt Dias. „Es soll nicht exklusiv, sondern demokratisch sein.“ Allerdings, gibt er zu, sei das erste Implicantes-Bier dann eine „mittlere Katastrophe“ gewesen. „Wir hatten Probleme mit der Kühlung und mussten 1000 Liter wegschütten.“

Auf seinem Arm trägt Daniel Dias eine auffällige Tätowierung. Sie zeigt eine Hopfenfrucht mit einem Zünder. „Es ist eine Hopfengranate“, scherzt Dias. Das Tattoo verdeutlicht recht gut den kämpferischen Geist der „Implis“. Sie halten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Wer ihr Bier kauft, der kauft auch eine Haltung, der macht ein starkes Statement. Ein Blick auf die Etiketten reicht, um das zu sehen.

Dort ehrt Implicantes schwarze Persönlichkeiten der brasilianischen Geschichte, die in der offiziellen Geschichtsschreibung kaum Beachtung finden, etwa in Schulbüchern. Ihr American Brown Ale haben sie „Abolicionista“ genannt und Luís Gama aufs Etikett gehoben, einen Anwalt, der schon Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei stritt. Ihr Session Ale ist eine Hommage an die schwarze Schriftstellerin Maria Firmina dos Reis, deren 1859 erschienener Roman „Ùrsula“ das Leben in der Sklaverei beschrieb. Sie gilt als die erste Schriftstellerin Brasiliens. Schließlich wird auch Leonidas da Silva mit einem Pils geehrt. Da Silva war einer der wichtigsten schwarzen Fußballer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert.

Die Etiketten der Implicantes haben etwas grelles und comichaftes und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Sie werden von Diego Dias entworfen, der heute nicht in der Brauerei ist, weil er es wegen der Corona-Pandemie vorzieht, zuhause zu bleiben. Als Logotipo der Marke hat er eine schwarze Katze mit gelben Augen designt. „Viele Menschen glauben ja, eine schwarze Katze bringe Unglück“, erklärt er am Telefon und lacht. „Das ist Quatsch. Sie bringt enorm viel Glück.“

Implicantes ist jedoch nicht nur als „schwarze“ Brauerei eine Besonderheit in Brasilien, sondern ganz generell als von Schwarzen gegründetes mittelständisches Unternehmen. Denn obwohl rein statistisch rund die Hälfte aller neuen Unternehmen heute von Schwarzen angemeldet wird, so sind viele dieser Betriebe kleine und aus der Not geborene Versuche, sich über Wasser zu halten, etwa durch den Verkauf von Essen. Studien haben ergeben, dass fast 80 Prozent der von Schwarzen registrierten Unternehmer nur bis knapp 4000 Franken im Jahr umsetzten. Lediglich acht Prozent setzen mehr als 6000 Franken um. Hier beginnt die Dominanz der „weißen“ Unternehmen.

Ganz generell lässt sich sagen, dass Brasiliens soziale Pyramide unten „schwarz“ ist und mit zunehmender Höhe immer „weißer“ wird. Schwarze Konzernchefs und Manager gibt es so gut wie keine. Die Dominanz von Weißen in Machtpositionen setzt sich in den Medien und der Politik fort. Aktuell gibt es keinen schwarzen Minister, keinen Schwarzen am Obersten Gerichtshof und keine schwarzen Landesgouverneure. Das ist umso schockierender, weil der Anteil der Schwarzen an der brasilianischen Bevölkerung 56 Prozent beträgt.

Brasilien ist trotz der Abschaffung der Sklaverei eine Art Feudalsystem mit geringer Durchlässigkeit von unten nach oben geblieben. Umso bemerkenswerter ist der Aufstieg einer Firma wie Implicantes. „Wir sind Pioniere“, sagt Daniel Dias. „Vorboten einer neuen Zeit, in der sich hoffentlich einiges ändern wird.“ Die Hoffnung ist nicht unbegründet, weil durch die Quotenpolitik, die in der Regierungszeit der linken Arbeiterpartei (2003 bis 2016) eingeführt wurde, viele junge Schwarze Zugang zu höherer Bildung bekamen – und sich ihnen folglich mehr und bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt boten.

Nun mag mancher einwenden, dass die soziale Militanz von Implicantes bloß Marketing sei; dass sie dadurch geschickt eine Marktlücke füllen würden. Aber sie ist kein bloßes Lippenbekenntnis. Die Brauerei spendete schon die Erlöse aus dem Verkauf eines Biers an Überschwemmungsopfer in Moçambique. Und jetzt, während der Pandemie, bringen sie Lebensmittelpakete zu den 100 Familien des Quilombo dos Alpes am hügeligen Stadtrand von Porto Alegre. Als Quilombos werden in Brasilien die Siedlungen von Nachkommen einst entlaufener Sklaven bezeichnet, die bis heute einen besonderen Schutz genießen – der allerdings allzu oft missachtet und verletzt wird.

Die kämpferische Anführerin des Quilombos dos Alpes ist die 52-jährige Rosângela da Silva, Enkelin der einstigen Gründerin. Als Thiago Rosário von Implicantes eines Mittags ins Quilombo kommt, um Lebensmitteltüten zu verteilen, sagt sie, dass man von hier oben zwar die Stadt sehe, aber die Stadt ignoriere das Quilombo. „Strom, Wasser, Infrastruktur – alles ist prekär, man verweigert uns unsere Rechte als Bürger.“ Deswegen sei sie umso dankbarer für die Hilfe der Bierbrauer inmitten der Pandemie.

Dabei wurde Implicantes zunächst selbst hart von der Pandemie getroffen. Einst hatten die Dias-Brüder vor, ihre Biere in Bars und Restaurants zu verkaufen, aber sie stellten fest, dass der Markt bis auf wenige Ausnahmen geschlossen war. Also konzentrierten sie sich auf Feste, Hochzeiten, Abschlussfeiern. Das Corona-Virus beendete ihr Geschäft mit einem Schlag.

Von der Pleite bedroht, starteten sie einen Aufruf zum Crowdfunding. Sie baten um 150.000 Reais, um Implicantes zu retten. Am Ende kamen fast 200.000 Reais (rund 33.000 Euro) zusammen, gespendet von 1700 Personen. So konnte die Brauerei weiter arbeiten. Jeder Spender bekam als Dankeschön einige Dosen Bier sowie Becher mit dem Thema der Implicantes: „Fuck Rassismus!“

In der Brauereihalle macht sich nun der typische Malzgeruch breit, während aus den Boxen mittlerweile brasilianischer Hip Hop dröhnt. Ein paar Stunden später werden Daniel Dias und Andres Amorim ein weiteres Pils gebraut haben, das dann in die Kühltanks zur Reifung kommt.

Die Biere der Implicantes sind typische Craft Biere, werden mit purem Gerstenmalz gemacht – und nicht wie oft in Brasilien mit Mais oder Reis. Sie sind aromatisch, stark, werden teils mit Zitrussäften wie Maracuja verfeinert. Die dunklen Biere haben Schokoladen- und Kaffeearomen. Doch die Implicantes-Macher sind bescheiden. Braumeister Daniel Dias sagt, dass man nicht vorhabe, das beste Bier der Welt zu brauen. Aber ein Qualitätsbier zu einem Preis, der es erschwinglich für möglichst viele mache.

Am Abend setzt sich Thiago Rosário in Auto und fährt zu verschiedenen Adressen kreuz und quer durch Porto Alegre. Einmal klingelt er an einem Haus in einem Mittelklasseviertel. Nach einer Weile öffnet ihm ein kräftiger Schwarzer. „Ich bringe unser Dankeschön-Paket für deine Spende“, sagt Thiago und überreicht vier Dosen Bier sowie zwei Tassen. Der Empfänger freut sich. „Was für eine schöne Überraschung“, sagt er. „Ich liebe euch. Ich macht eine ganz wichtige Sache. Ich musste euch einfach unterstützen.“

ENDE